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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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es die geringsten Probleme gegeben. Wir waren uns ein paar Mal über den Weg gelaufen, wenn ich mich bei meinem künftigen Schwiegersohn mit Kerzen eindecken wollte oder eine neue Außenbeleuchtung für den jahreszeitlich bedingt zum Weihnachtsbaum umfunktionierten Fliederbusch brauchte, hatten einen Becher Automatenkaffee getrunken und dabei über dies und das geplaudert, und am Hochzeitstag unserer beiden Kinder hatte Trudchen festgestellt: »Nun kennen wir uns doch schon so lange, da können wir doch eigentlich DU zueinander sagen.«
    Seitdem sagen wir es ja auch, sofern wir uns wirklich mal sehen. Meistens beschränkt sich die Kommunikation auf telefonische Gratulationen zu den Geburtstagen sowie auf die üblichen Grüße zu den üblichen Feiertagen, neuerdings allerdings per Fax, weil das billiger ist. Trudchen und der ihr inzwischen rechtmäßig angetraute Lebensgefährte Karl wohnen nämlich den größten Teil des Jahres in Spanien und kommen nach Deutschland nur noch auf Urlaub – meistens dann, wenn die Deutschen Urlaub in Spanien machen.
    Nickis künftige Schwiegereltern dagegen wohnen im selben Ort wie wir, am entgegengesetzten Ende zwar, aber so groß ist er ja nicht. Wir haben denselben Friseur, jedoch nicht denselben Bekanntenkreis, begegnen uns immer nur zufällig und das auch relativ selten. Dass unsere Kinder seit über zwei Jahren zusammenleben, ist eine von allen akzeptierte Tatsache, sozusagen der heutige Normalzustand, ob und wann daraus mal mehr werden würde, blieb abzuwarten.
    Nun war es so weit, und ich dachte mal wieder an die gute alte Zeit so vor etwa zweihundert Jahren, als der Freiherr v. Knigge seine präzisen Regeln für den Umgang mit Menschen festgelegt hatte. Damals wusste man wenigstens, woran man war! Die Regeln gibt es ja immer noch, nur hält sich niemand mehr daran. Andererseits …
    Also wenn das stimmt, was mir mal meine mütterliche Omi erzählt hat, dann hatten beide Elternpaare noch jahrelang nach der Hochzeit meiner Eltern SIE zueinander gesagt; erst während einer Familienfeier, die im Luftschutzkeller fortgesetzt werden musste, hatte Oma Klärchen (»man weiß ja nie, ob wir hier noch mal rauskommen!«) endlich Omi Amalie das Du angeboten, doch mit Opa Wilhelm hat sich Omi bis zu dessen Tod, also ungefähr noch zwanzig Jahre lang, gesiezt. Warum? Nun ja, man war zwar irgendwie verwandt geworden, aber doch nicht so ganz richtig…
    Da ich mit Nicoles künftigen Schwiegereltern bisher weder ›nicht so ganz richtig‹ noch überhaupt verwandt war, konnte ich die Notwendigkeit des Sichbesserkennenlernens vorerst ad acta legen. Nicki hatte wahrscheinlich Recht, auf einem Polterabend geht es viel lockerer zu, da kommt man sich oft von allein näher, und außerdem soll es ja schon Paare gegeben haben, die drei Tage vor der Hochzeit festgestellt haben, dass er die ständig tropfenden Strumpfhosen auf der Wäscheleine im Bad und sie seine ausgeleierten Jogginghosen vorm Fernseher wohl doch nicht ein ganzes Leben lang ertragen könnten und es besser sei, den Termin beim Standesamt wieder abzusagen.
    Ach ja, die Entenbrust hätte ich hier sowieso nicht gekriegt, ich habe mich extra mal danach erkundigt.
    »Wann ommt ihr unsch denn ndlisch mal beschuchen?«, wollte Katja wissen, kauend und dabei drohend mit dem angebissenen Würstchen wedelnd. »Wir schind« – sie schluckte den Bissen herunter »also wir sind jetzt mit allem fertig, sogar der Haken fürs Küchenhandtuch klebt schon!« Wieder ging die Kühlschranktür auf, ein prüfender Blick, dann der Griff zur Senftube. »Kann ich das andere auch noch haben?«
    Eigentlich sollten die Würstchen nachher in die Bohnensuppe, nur hatte Katja sofort behauptet, keinen Hunger zu haben oder bloß ein ganz kleines bisschen, gerade genug für ein Joghurt, doch da der Appetit bekanntlich beim Essen kommt …
    »Ich habe gelesen, Bockwurst erzeugt Krebs!«
    »Aber nur, wenn man sie raucht!« Sie schob den letzten Bissen in den Mund. »So, und jetzt brauche ich was Süßes!« Also wenn ich das ganze Zeug, das Katja im Laufe einer Woche in sich hineinstopft, auch nur ansehen würde, hätte ich jedes Mal zwei Kilo mehr auf den Rippen, sie dagegen hat noch nie die Hosengürtel ein Loch weiter machen müssen!
    Die Welt ist ungerecht!
    »Lass ja die Kinderschokolade liegen«, hörte ich Rolfs warnende Stimme aus dem Wohnzimmer, »das ist meine!
    »Nomen ist omen!« Krachend flog die Schublade wieder zu.
    »Das nächste Mal bringe ich dir ein

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