Menschenskinder
heißt das nun genau?«
»Meine Güte, ihr seid doch dabei gewesen, als wir den Text zusammengestoppelt haben! Ich habe die Endfassung später allerdings ein bisschen eingekürzt.« Er ließ sich das Telegramm zurückgeben und las es noch einmal durch. »Wichtig waren doch nur die Fragen, ob Personenschaden vorliegt, wer Schuld hat, welche Ladung auf dem Lkw gewesen ist und dass notfalls der Anwalt verständigt werden soll.« Kopfschüttelnd steckte er das Papier in die Hemdentasche. »Wie der Zusatz da reingekommen ist, wir seien weitergeflogen nach Australien, dürfte eines jener Rätsel sein, die nie gelöst werden.«
»Dafür können wir jetzt ein anderes als geklärt betrachten, nämlich die Frage, weshalb du auf dieses Telegramm nie eine Antwort gekriegt hast! – So, und jetzt lass mich mal ans Telefon, ich will endlich nach Hause!«
Kapitel 8
H eiliger Himmel, was habt ihr denn mit den Birken gemacht? Die sehen ja aus wie Reisigbesen!«
»Ach was«, sagte mein Ehemann, »das kommt dir nur so vor, weil jetzt keine Blätter dranhängen. In sechs Wochen sieht das schon ganz anders aus!« Er rüttelte am untersten Ast des am nächsten stehenden Baumes, was völlig sinnlos war, im Februar wird in unseren Breiten nun mal nichts grün, und prompt fiel ihm eine Ladung herunterstiebender Schnee in den Hemdkragen. »Ihhh, pfui Deibel! Komm bloß schnell rein, bevor du dich erkältest!«
Diese Besorgnis um mein leibliches Wohl war absolut neu! Noch vor ein paar Wochen hatte er mich bedenkenlos morgens um sieben zum Schneeschippen vor die Tür gejagt mit der Entschuldigung, sein Hexenschuss (wahlweise auch geprellter Arm, Arthritis im linken Knie oder der Tennis-Ellbogen) ließen eine derartige Tätigkeit noch nicht zu, doch jetzt schien er um die Erhaltung meiner Gesundheit ernsthaft bemüht zu sein. War ja auch logisch, denn ein richtig schöner Schnupfen würde den bei mir ohnehin noch nicht vorhandenen Arbeitseifer weiter dämpfen, mit Husten dazu würde er ihn völlig lahm legen. Und das nach drei Wochen Abwesenheit? Wo doch der Kühlschrank leer und der Wäschekorb randvoll waren! In der Keksdose herrschte Ebbe, und in der Süßigkeiten-Schublade kullerten nur noch zwei Müsliriegel und eine Rolle Pfefferminzbonbons herum, letztere schon seit mindestens anderthalb Jahren.
»Koch ihm bloß etwas Anständiges«, hatte Katja am Telefon gesagt, »am besten gleich auf Vorrat, er ist es jetzt gewöhnt, drei Tage hintereinander das Gleiche zu essen, aber bloß kein Huhn, keine Frikadellen und nichts Türkisches!«
»Soll das heißen, er hat …?«
»Genau«, unterbrach sie mich sofort, »dienstags und mittwochs vom Hähnchenwagen, dann vier Tage lang abwechselnd beim Döner-Stand oder in der Imbissbude neben dem Bahnübergang, nur sonntags, wenn Sven gegen Mittag kam, haben die beiden zusammen gekocht.«
»Der kann’s doch gar nicht!« Eine Behauptung, die nicht ganz zutrifft. Bratkartoffeln mit Spiegelei kriegt Sven recht gut hin, Pudding kann er auch schon, doch am besten gelingt ihm Kartoffelbrei aus der Tüte mit Champignonsoße aus der Pappschachtel.
»Warum hat denn nicht mal eine von euch …«
»Ha’m wir ja!« protestierte Katja gegen den noch gar nicht ausgesprochenen Vorwurf, sie könnten sich ja auch mal um ihren Vater gekümmert haben. »Nicki hat ihn oft genug zum Essen eingeladen und immer einen Korb gekriegt, und ich habe ihm sogar mehrmals angeboten, vor der Schule was vorbeizubringen. Er hätte es bloß in die Mikrowelle schieben müssen, wollte er ja nicht. Du kennst ihn doch! Wenn du das nächste Mal allein verreist, dann bestell für ihn Essen auf Rädern!«
Großartig! Da war ich kaum zwei Stunden zu Hause, und schon hatte ich wieder das schlechte Gewissen, das ich zwei Wochen lang mühsam unterdrückt und erst während der letzten Tage endlich vergessen hatte! Essen auf Rädern! Würde ja gar nicht gehen! Schon wegen der Nachbarschaft nicht. Was würde die sich wohl denken, wenn täglich das Auto mit dem unübersehbaren Aufkleber vor unserer Tür halten und der Zivi mit dem Warmhaltegeschirr in der Hand bei uns klingeln würde? Dafür kann ich mir aber ziemlich genau ausmalen, wie der nächste Urlaub für mich aussehen wird: Ein hübsches kleines Sommerhäuschen an einem See irgendwo in Skandinavien mit Selbstversorgung und Tante-Emma-Laden vier Kilometer weit weg. Zu den Mahlzeiten wird es – außer zum Frühstück natürlich – Fisch in Folie gegart geben oder Fisch vom Grill,
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