Menschenskinder
Überraschungsei mit, dann hast du gleich noch was zum Spielen!«
Irgendwann zwischen zwölf und fünfundzwanzig muss ich in der Erziehung etwas falsch gemacht haben!
»Nun mal im Ernst«, nahm Katja das vorhin angeschnittene Thema wieder auf, »wann wollt ihr euch denn endlich die Wohnung ansehen? Bei uns liegt sogar noch ein bisschen Schnee!«
»Genau das ist einer der Gründe, warum ich nicht will!«, sagte Rolf. »Hier fangen endlich die Krokusse an zu blühen, und du erwartest von mir, freiwillig dorthin zu fahren, wo man noch Winterausrüstung braucht?« Er griff zur Zigarettenschachtel, die war aber leer, und weil er nichts anderes zum Abreagieren fand, moserte er weiter. »Was hat euch bloß auf den Gedanken gebracht, in diese Einöde zu ziehen? Wollt ihr euren Lebensabend vorverlegen?«
Zugegeben, als ich mit Katja und Tom die Wohnung besichtigt hatte, war es Oktober gewesen, die Bäume hatten noch ihr buntes Laub gehabt, und die schmale Straße mit den vielen Kurven war mir gar nicht so richtig aufgefallen. Nur dass es stetig aufwärts ging, hatte ich registriert. Auch die Wohnung war hübsch, sehr geräumig, herrlich der große Balkon, von dem aus man einen wunderschönen Blick über den Ort hatte bis zum angrenzenden Wald … doch das alles war in meinen Augen ein Platz für ein Wochenendhaus, und wenn’s einen offenen Kamin hat, auch für ein paar Wintertage, aber nicht als Wohnsitz für zwei junge Menschen, die beide arbeiten.
Andererseits war klar gewesen, dass sie in Toms Junggesellenbude nicht mehr lange bleiben konnten. Wenn man nämlich erst die Lampe wegräumt und den Hocker zur Seite schiebt, um an die Tür zu kommen, hinter der die ganzen CDs aufgereiht stehen, dann Lampe und Hocker wieder an den alten Platz stellen muss, weil man sonst die Disc nicht in die Stereoanlage kriegt, ohne vorher mit dem Aquarium zu kollidieren (darin ist Herbert Grönemeyer denn auch prompt mal baden gegangen) – dann wird es wirklich Zeit für eine größere Wohnung!
Nun ist Heidelberg bekanntlich eine Universitätsstadt, in der die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum das Angebot bei weitem übersteigt, so dass eine ehemalige Dienstbotenkammer mit Waschbecken in der Ecke als Apartment offeriert wird und eine 48 qm große Dachgeschosswohnung im fünften Stock ohne Balkon und Fahrstuhl als Maisonette. In der Terminologie Heidelberger Vermieter kannte ich mich noch ganz gut aus, denn auch die Zwillinge hatten mal dort studiert.
Aber musste es wirklich dieses Nest sein mit seinen zwanzig Häusern einschließlich Kirche und Kneipe? Wo die Dörfer rundherum so merkwürdige Namen tragen wie Oberflockenbach (vermutlich fällt da der erste Schnee des Jahres und bleibt am längsten liegen), Rippenweier, Trösel und Lützelsachsen, Orte also, für die man eine Wanderkarte braucht, weil man sie im Autoatlas nur mit der Lupe findet. Nix gegen reine Luft und viel Natur, doch zu viel von allem kann schädlich für die Psyche sein. Was also wollten diese zwei Stadtkinder in einer Gegend, wo sich Fuchs und Hase abends die Pfote reichen?
Und dann siegte doch die Neugier! Als ich Rolf sagte, dass ich am kommenden Wochenende nach Waldminningen zu den Kindern fahren würde, entschloss er sich zum Mitkommen. »Man will ja schließlich wissen, wo sie sich beerdigt haben.«
Es herrschte schon richtiges Frühlingswetter, als er gleich nach dem Mittagessen den Wagen vor die Haustür fuhr. Die Sonne schien zwar noch etwas bleichsüchtig durch die vereinzelten Wolken, aber bis zum kalendarischen Frühlingsanfang war’s ja noch eine Weile hin. »Auch eine Methode, seinen Haushalt zu komplettieren«, murmelte er, den BrotbackAutomaten in den Kofferraum wuchtend, »man wechselt alle zwei Jahre seine Wohnung und wünscht sich zum Einzug das, was man noch braucht.«
»Vielleicht gibt es in Waldminningen gar keinen Bäcker?«, gab ich zu bedenken. »In diesen abgelegenen Orten backen die Frauen ihr Brot häufig noch selber.«
»Ja, im Steinofen! Für dieses Teil hier« – ein beziehungsreicher Blick streifte das mit diversen Schaltern und Lämpchen bestückte Gerät – »braucht man doch garantiert wieder drei Semester Studium der Elektrotechnik sowie eine Gebrauchsanweisung vom Umfang des örtlichen Telefonbuchs.« Es soll bloß noch mal jemand behaupten, Frauen verstünden nichts von Technik! Die Männer sind es nämlich, die mit den neuen Geräten nicht klarkommen! Ein Auto haben sie seinerzeit ja noch in Gang gekriegt, auch
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