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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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sich bewegte, schreckte
Freund zurück. Tastete abermals mit Fingerspitzen. Das Telefon vibrierte gerade
wieder. Freund packte es und flüsterte.
    »Bitte?«
    Er dämpfte seine Stimme, obwohl er am liebsten laut geschimpft
hätte. Zuerst Träume zerstören und einen dann noch durch die Finsternis
krabbeln lassen! Seine Hosen waren nass von den feinen Tropfen im Gras. Er
hätte während des Bereitschaftsdiensts keinen Wein trinken dürfen. Aber der
Abend mit Claudia war zu nett gewesen. Seit Langem wieder einmal.
    Niemand meldete sich.
    Natürlich. Das hatte er ganz vergessen. Der Opa-Alarm. Sie hatten
ihn gestern erst einrichten lassen. Anders ging es nicht mehr. Um das
Handgelenk trug sein Vater nun ein Gerät, das automatisch ein Signal an Freund
sendete, wenn der alte Mann stürzte und nicht mehr aufstehen konnte oder wenn
er den Alarmknopf drückte.
    Freund sprang hoch und eilte ins Haus. Vorsichtig tastete er sich
durch den Wohnraum mit Küchenzeile, in dem Claudia und er für die Nacht die
Schlafcouch auszogen. Durch die kleinen Fenster fiel nur wenig Licht, aber er
fand sich blind zurecht. Neben der Tür hing eine Taschenlampe. So. Das war
besser. Durch den schmalen Flur am Bad vorbei schlich er zur Rückseite des
Hauses, wo das Kinderzimmer und das Zimmer seines Vaters lagen.
    Leise öffnete er die Tür und leuchtete auf das Bett des alten
Mannes. Leer. Weit konnte er nicht sein. Aus dem Bad hörte Freund ein Scharren,
dann Gekicher. Die Tür zum Bad ließ sich nicht öffnen. Freund lehnte sich mit
dem ganzen Gewicht seiner ein Meter fünfundachtzig inklusive Bäuchlein dagegen
und schob sie langsam auf. Durch den wachsenden Spalt drang Kotgestank.
    »Oh nein, Papa! Nicht schon wieder!«
    Zusammengerollt wie ein Fötus lag sein Vater vor der Klomuschel. Um
seine Knöchel hatte sich die Pyjamahose gewickelt, mit den Händen verschmierte
er seine Ausscheidungen über den ganzen Körper, das Gesicht und rieb sie in die
Haare. Die braunen Streifen zogen sich über die Bodenkacheln, den Sockel der Duschtasse
und den Fuß von Toilette und Waschbecken. Es stank gewaltig.
    Freund spürte seinen Körper zu Holz werden. Ganz ruhig bleiben. Tief
durchatmen. Durch den Mund. Er hatte den Eindruck, selbst der konnte plötzlich
riechen. Er schloss die Tür hinter sich.
    »Oh, Gerhard«, gluckste der Alte vergnügt, als er Freund sah.
    »Ich bin es, Laurenz, dein Sohn«, erklärte Freund, während er über
den Liegenden stieg und das kleine Fenster oberhalb des Spülkastens öffnete.
    »Ah so. Laurenz? Laurenz. Wo ist Gerhard?«
    »Nicht da. Komm, steh auf.«
    Er hievte ihn direkt in die Dusche, wo Oswald Freund sich in eine
Ecke kauerte. Neugierig untersuchte der Alte ein Stück der braunen Masse aus
seinen Haaren.
    »Nicht in den Mund stecken!«
    Mit spitzen Fingern zog er dem Vater die verdreckte Kleidung ganz
aus und warf sie in die Waschmaschine. Dabei achtete er darauf, die Scheiße am
Boden nicht noch weiter zu verteilen.
    Als er das Wasser aufdrehte, sah sein Vater überrascht nach oben.
    »Es regnet.«
    Freund drückte ihm ein Stück Seife in die Hand. »Hier. Wasch dich.
Ein Regenbad. Das macht Spaß.«
    »Was soll der Unsinn? Regenbad! Ich bin doch kein kleines Kind!«
    »Dann dusch ganz einfach.«
    Freund schloss die Duschtür. Kübel, Putzlappen und Reinigungsmittel
warteten unter dem Waschbecken. Während sein Vater in der Kabine mit der Seife
spielte und vor sich hin brabbelte, schrubbte er den Boden. Vor, zurück. Er
dachte nicht darüber nach. Das regelmäßige Scheuern der Bürste auf den Kacheln
beruhigte ihn.
    Vor zwei Jahren hatte der Verfall seines Vaters begonnen. Am Anfang
hatte das Kurzzeitgedächtnis nachgelassen. Dann hatte er Freunde verwechselt,
später seinen Sohn, seine Schwiegertochter, selbst die heiß geliebten Enkel mit
falschen Namen angesprochen oder gar nicht mehr erkannt. Altersdemenz diagnostizierte
der Arzt. Passiert den meisten von uns früher oder später, hatte er Freund
erklärt, wenn wir nicht vorher sterben. Wie ermutigend! Bis vor wenigen Monaten
hatte Oswald Freund trotzdem in seinem Zuhause bleiben können. Seit März war es
damit vorbei. Sie hatten ihn zu sich genommen. In der Wohnung im sechsten
Bezirk verwandelten sie das Arbeitsgästezimmer in die neue Bleibe Oswald
Freunds. Wenn sie ihn am Morgen vor den Fernseher setzten, hielt er meist
still, bis die Kinder zu Mittag von der Schule kamen. Dreimal pro Woche sah
eine mobile Pflegekraft vormittags vorbei, an den anderen

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