Menschenteufel
Tagen kümmerte sich
eine Nachbarin. Freund versuchte seine Dienste so einzuteilen, dass er
gelegentlich später losmusste, und wenn möglich schaute er zwischendurch daheim
vorbei. Aber es wurde immer schlimmer.
Er stellte den leeren Kübel zurück, hängte den Lappen über die
Heizung und öffnete die Dusche, als sich sein Telefon wieder in der Hosentasche
meldete.
Bitte nicht jetzt einen Einsatz.
Auf dem Display erkannte er die Nummer eines Kollegen. Er zögerte
einen Moment, dann nahm er das Gespräch an.
»Herr Oberinspektor, es tut mir leid, Sie zu …«
»Bitte, keine langen Reden!« Er merkte, wie unfreundlich er war.
Dabei konnte der andere nichts dafür.
»Pater. Jetenwie. Nich üsehen. MMS anschaut.«
Neben der laufenden Brause verstand Freund kein Wort. Er drehte den
Wasserhahn ab. Am Kopf seines Vaters klebten verdreckte, schaumige Haare. Als
der Schauer ausblieb, blickte er zu Freund hoch wie zu einem Zauberer.
»Noch einmal, bitte«, forderte der Oberinspektor den Anrufer auf.
»Schau einfach die MMS an.«
Als ob er dafür jetzt Zeit hätte! Er musste seinen Vater waschen und
zurück ins Bett bringen.
»Sie haben drei neue Nachrichten.« Mit angehängter Bilddatei. Sein
Mobiltelefon konnte auch fotografieren. Ein paarmal hatte er es probiert. Die
Fotos waren klein und schlecht. Vielleicht lag das am Display. Und daran, dass
er nicht wusste, wie man die Bilder vom Telefon auf Papier bekam. Über den
Computer wahrscheinlich. Er hatte es nie versucht. Seither gammelten sie auf
dem Speicherchip herum. Bis ihm irgendein Technikfreak half. Wenn er einmal
einen fragen würde. Musik hören konnte er mit dem Gerät auch. Hier kämpfte er
mit dem umgekehrten Problem. Er hatte keine Ahnung, wie er die Musik in das
Handy bekam. Angeblich konnte er damit sogar Radio empfangen. Wusste der
Teufel, wie das funktionieren sollte.
Auf dem kleinen Display konnte er nicht wirklich ausmachen, was man
ihm da gesendet hatte. Das Einzige, was seine Phantasie daraus machte, war
Unfug.
Manchmal kam er in solchen Situationen mit einem Trick weiter. Er
dachte an ein Vexierbild. Zum Beispiel die Komposition, in der man sowohl das
Gesicht eines alten, bärtigen Mannes als auch eine nackte junge Frau sehen
konnte. Perspektivenwechsel. Aber es funktionierte nicht. Er fand keine andere
Interpretation der Aufnahme vor sich.
»Was soll das sein? Ich kann es nicht erkennen.«
»Schau genau hin!«
»Es ist Nacht.«
»Mit wem sprichst du?« Sein Vater hatte sich erhoben und wollte aus
der Duschkabine steigen.
Freund schob ihn mit einer Hand zurück und schloss die Tür wieder,
während er mit der anderen das Telefon bediente. Vielleicht gaben die beiden
anderen Nachrichten Aufschluss.
Mit dem Fotoversand begonnen hatte Harald »Harry« Feidel vor ein
paar Wochen. Als Leiter eines der Voraustrupps entschied er am Tatort, ob es
sich um eine Straftat handelte. Wenn es sich so verhielt, rief er die
dienstbereite Gruppe Gewaltverbrechen. Heute Nacht war das Freunds. Neuerdings
schickte Harry gern Bilder vom Tatort, die er mit seinem Mobiltelefon aufnahm.
Damit ihr euch seelisch schon einmal vorbereiten könnt.
Freund öffnete die zweite Nachricht. Durch seinen Körper schoss eine
Hitze, die mit dem Wetter nichts zu tun hatte.
»Verd…«
Das Adrenalin erreichte seine Haarwurzeln und Fingerspitzen. In
seiner Hand zitterte das Telefon. Als sich das Hormon zurückzog, wurde ihm
kalt. Seine gesamte Körperoberfläche hatte sich in ein Reibeisen verwandelt.
Er konnte seinen Blick nicht abwenden. Dann setzte die Erleichterung
ein.
»Das ist nicht echt! Das ist ein bizarrer Scherz. Ein
pseudooriginelles Präparat!«
Eine Amsel sang. Bald musste die Morgendämmerung beginnen. Die
Stimme aus dem Telefon war leise und rauschte.
»Würde ich dich dann anrufen?«
Freund entfuhr ein ungläubiges Lachen.
»Schau dir das dritte Bild an.«
Was sollte das bringen? »Dieses Wesen gibt es nicht. Hat es nie
gegeben. Nur in Sagen, in Religionen und Mythen.«
»Jetzt auch in Wien.«
»Das ist ein Witz.«
»Wäre uns allen lieber …«
Freund war trotz den Schocks noch nicht wach genug, um die
Konsequenz des Gesagten sofort zu begreifen.
»Du meinst …«
In wenigen Momenten seiner Laufbahn hatte er seine Berufswahl
bedauert. Mit der Zeit hatte er sich an Anblicke gewöhnt, die ihm beim ersten
Mal den Magen umgedreht hätten. Sollte keiner sagen, dass ihm das nicht
passieren konnte. Irgendwann stand jeder vornübergebeugt in einer
Weitere Kostenlose Bücher