Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
Vom Netzwerk:
Sichtschutz schon?«, fragte er.
    Während der Fahrt gingen ihm die Bilder nicht aus dem Kopf. Durch
das Schiebedach strömte warmer Wind ins Wageninnere. Trotzdem fröstelte ihn.
Dunkles Morgenblau drängte von den Himmelsrändern nach oben, wo der Mond einen
Fremdkörper zu bilden begann. Nachdem Freund die schmalen Straßen des
idyllischen Winzerbezirks Grinzing hinter sich gelassen hatte, fuhr er die
Donau entlang. Ruhig floss der Strom dahin. Am gegenüberliegenden Ufer der
Donauinsel würden auch heute wieder tausende Wienerinnen und Wiener die
Sommersonne genießen. Nur der dichter werdende Morgenverkehr ließ ahnen, dass
nicht alles so friedlich war, wie es schien.
    Er rief sein Team an und vereinbarte einen Treffpunkt. Nachdem er in
die Lassallestraße abgebogen war, passierte er die Kette mäßig attraktiver
Bürohausklötze, umrundete den riesigen Kreisverkehr am Praterstern fast einmal
und zweigte in Wiens größten und bekanntesten Park ab.
    Den Wurstelprater mit dem Riesenrad und seiner Ansammlung um diese
Tageszeit geschlossener Jahrmarktsbuden, Glückspielhöllen und Lokale ließ er
links liegen. Der weitaus größte Bereich des ehemaligen kaiserlichen
Jagdgebiets bestand aus Wiesen und Wald, die von Straßen und Spazierwegen
durchzogen wurden, allen voran die Praterhauptallee. Schnurgerade, autofreie
vier Kilometer unter alten Kastanienbäumen boten Spaziergängern, Joggern,
Inlineskatern und Radfahrern einen der beliebtesten Ausläufe der Stadt und nun
den schnellsten Weg für Freund.
    Noch leuchteten die Baumkronen in sattem Grün. Bald würde die
Miniermotte sie wie jedes Jahr seit den Neunzigern vorzeitig austrocknen.
Früher war er hier manchmal gelaufen. Aber nicht um diese Tageszeit. Er war
überrascht, wie viele Menschen sich vor sechs Uhr morgens bereits auf der
Strecke tummelten. Nur wenige schenkten ihm einen neugierigen Blick. Nach etwa
einem Kilometer bog er rechts in die Rotundenallee ab. Schon von Weitem sah er
die rot-weißen Bänder.
    Das ehemalige Gelände eines Jesuitenklosters war großräumig
abgesperrt. Wo nach der Aufhebung des Ordens durch Kaiser Joseph  II . 1773 die Infanterie der Wiener Garnison exerzierte,
hatten auch er und Claudia gelegentlich neben Freizeitfußballern,
Volleyballern, Footballern, Frisbeespielern und Bumerangwerfern, lesenden Singles,
anderen verliebten Paaren und picknickenden Familien einen Nachmittag
verbracht. Als Studenten besuchten sie ein paarmal sogar das traditionelle
Volksstimmefest, der einzig verbliebene Anlass, zu dem die atomisierte
kommunistische Partei jeden Sommer noch Zehntausende mobilisieren konnte, wenn
auch nicht mehr durch Parolen, sondern mit Bier, Caipirinha und Gegrilltem.
    An diesem Morgen liefen aufgeregte Polizisten durch das Gras. Sie
sprachen in ihre Mobiltelefone und hielten Schaulustige zurück. Wie ein
Bienenschwarm verdichteten sie sich etwa hundert Meter weiter auf der riesigen
Wiese zu einem Zentrum, in dem reges Gedränge herrschte. Mittendrin sah Freund
die weißen Overalls der Spurensicherung leuchten. Er stellte den Wagen hinter
einer Reihe anderer Polizeiautos ab und stieg aus. Zwei seiner Kollegen
warteten bereits.
    Alfons Wagner war Reserveoffizier des Bundesheeres und Freunds
Mitbewerber um den Posten des Gruppenleiters, der neu besetzt werden musste.
Wie üblich sah er aus, als müsse er gleich zu einem Familienfototermin mit
seiner Großmutter. Stocksteif, über dem blassgelben Hemd ein braunes Jackett
und eine türkisfarbene Krawatte mit Punkten. Schnurrbart und Haare einzeln
gelegt und frisiert. Er war drei Jahre älter als Freund.
    Der junge Mann daneben war weder Fahrradbote noch Discjockey. Auch
wenn Lukas Spazier so wirkte, in seinen Combathosen und dem T-Shirt, mit kahl
rasiertem Kopf und laufend wechselnden Bartmodellen. Mit dreißig Jahren war er
der Benjamin des Teams.
    Hinter ihnen parkte gerade Marietta Varic ihren alten Opel. Die groß
gewachsene Enddreißigerin trug ein T-Shirt über verwaschenen Jeans und hatte
die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Alleinerzieherin von
zwei halbwüchsigen Kindern war die einzige Frau in den drei Gewaltgruppen der
Wiener Kriminalpolizei.
    Eigentlich sollte die Gruppe Gewalt Zwei aus fünf bis sechs
Mitgliedern bestehen. Doch die Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre verhinderten
eine Vollbesetzung. Leider sparten die Verbrecher deshalb nicht mit ihren
Untaten.
    »Hat euch Harry auch die Fotos geschickt?«
    Spazier verdrehte die Augen.

Weitere Kostenlose Bücher