Menschliche Einzelteile (German Edition)
kochte.
Doch
Wotan Vieth brachte dem Militär nicht die geringste Sympathie
entgegen. Ganz im Gegenteil: Er hielt Soldaten durchweg für
Schlappschwänze in Uniform. Nichts weiter als ein Haufen
Zivilversager. Er selbst hingegen bewegte sich auf einem ganz
anderen – und seiner Ansicht nach viel gefährlicheren -
Schlachtfeld: den Finanzen.
Für
oder gegen wen er auf diesem Schlachtfeld kämpfte, wusste nur
Wotan Vieth alleine. Doch wann immer man ihn antraf, sprach er stets
davon, gerade jemanden fertig zu machen oder gerade jemanden fertig
gemacht zu haben. Außerdem spielten feindliche Übernahmen
eine Hauptrolle in Wotans Berichten.
Ja,
Wotan Vieth wusste stets genau, was er wollte. Und er wollte, dass
er bekam, was er wollte – ohne dass jemand wissen wollte, was
er wollte. Genau der richtige Mann, um Sören einen Einblick in
das Geschäftsleben sowie einen Schubs in die richtige Richtung
zu verpassen – fand Agnes Freya.
Sören
hingegen fand diese Idee zum Kotzen.
Für
ein Wochenende hätte er den Eisenonkel nun ertragen müssen.
Ein Wochenende lang hätte er sich die kernigen Sprüche
dieses Rumpelstilzchens mit Bürstenfrisur anhören müssen.
Danach hätte er wieder nach Hause zu seiner Mutter, einem
Bottich Nudelsuppe, seinem Therapeuten und seinen Videospielen
zurückkehren können. Doch an diesem Freitagabend war
irgendwie alles aus dem Ruder gelaufen.
Der
Abend hatte schon blöde angefangen: Vom Fernsehprogramm
gelangweilt, hatte Sören zunächst versucht, etwas näheren
Kontakt zu Tante Evelyn zu knüpfen. Der Eisenonkel war erst
seit etwa drei Jahren mit Evelyn verheiratet und Sören fragte
sich, wie es einem Wotan Vieth gelungen war, ein so heißes
Stück Fleisch zu ehelichen – insbesondere, weil dieses
Stück Fleisch gut zwanzig Jahre weniger auf dem Tacho hatte.
Doch
wie Sören wusste, bekam ein Wotan Vieth immer, was er wollte.
Im Zweifelsfall eben durch eine feindliche Übernahme.
Die
Alte war schon den ganzen Abend in einem halb durchsichtigen, weißen
Nachthemd durch die Gegend gelaufen. Sören hatte beinahe den
ganzen Tag über in einer Pfütze gesessen.
Am
Abend war Sören dann aufs Ganze gegangen: Er hatte Tante Evy
von einer frei erfundenen Beinahe-Keilerei erzählt, in die er
an Fasching verwickelt worden war, als ihn einige Dorfschläger
in einer Sektbar angepöbelt hatten.
Dummerweise
war der Eisenonkel kurz vor dem Höhepunkt der Geschichte (Sören
gegen fünf vierschrötige Typen) aufgetaucht und hatte
begonnen, Sörens Geschichte mit gezielten Fragen in ihre
Einzelteile zu zerlegen. Schließlich war Sörens
Lügengeschichte in sich zusammengefallen wie ein von Sören
angerührter Hefekuchen.
„ Erstunken
und erlogen!“, hatte der Eisenonkel geknurrt. „Du bist
ein erbärmlicher Jammerlappen, genau wie deine Mutter.“
Dann
hatte der Eisenonkel eine Plastiktüte auf den Tisch geknallt
und war aus dem Zimmer gerauscht. „Ich muss mal kacken“,
hatte er im Abgang über die Schulter gerufen.
Tante
Evy hatte Sören mit einem Blick bedacht, in dem Tadel und
Enttäuschung dicht nebeneinander lagen. Dann war auch sie
abgerauscht und hatte Sören mit seinem schlechten Gewissen
zurückgelassen.
Nur
die Plastiktüte war übrig geblieben.
Wie
Sören gesehen hatte, war eine DVD-Hülle aus dieser Tüte
gerutscht. Hätte er zu diesem Zeitpunkt gesehen, was sich sonst
noch in der Tasche befand, dann wäre der Abend vielleicht ganz
anders verlaufen.
Vielleicht
auch nicht.
So
hatte Sören die Hülle aufgeklappt und die DVD
herausgenommen. Jemand hatte mit Filzstift zwei Wörter auf den
Datenträger gekritzelt:
„ Menschliche
Einzelteile“.
In
diesem Augenblick hatte der Blitz bei Sören eingeschlagen.
„ Du
armseliges Würstchen!“
Der
Eisenonkel hatte zu Ende gekackt.
„ Nimmst
du wohl deine unqualifizierten Finger von diesem Datenträger!“
Sören
hatte die Silberscheibe vor Schreck fallen gelassen. Zu seinem Glück
hatte der Fernsehsessel das Missgeschick vor den Blicken des
Eisenonkels abgeschirmt. Sören hatte in diesem Augenblick
entschieden, sich vorerst nicht nach der DVD zu bücken.
Stattdessen hatte er nur die Hülle wieder zugeklappt und auf
den Tisch zurückgelegt.
„ Tu
das nie wieder!“ Onkel Wotan hatte mit einem Zeigefinger aus
Stahl auf Sören gezielt. „Fass nie wieder diesen
Datenträger an, du elende Made. Das ist meine
Lebensversicherung. Hast du verstanden?“
Sören
hatte automatisch genickt.
Dabei
hatte er sich in seinem Hinterkopf
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