Menschliche Kommunikation
die
Gefahr übermäßiger Redundanz hin möchten wir nochmals darauf verweisen, dass diese Strukturen einen erklärbaren oder symbolischen Sinn weder haben noch zu haben brauchen. Dies
schließt natürlich nicht die Möglichkeit aus, dass sie mit anderen
Vorkommnissen oder Zuständen in Wechselbeziehung stehen
können, wie dies z. B. zwischen dem Elektroenzephalogramm
und gewissen Krankheitserscheinungen der Fall ist.
In zwei Bereichen der menschlichen Kommunikation, in der Syntaktik und der Semantik, ist das Phänomen der Redundanz bereits weitgehend untersucht worden; hierzu wäre die Pionierarbeit Shannons, Carnaps, Bar-Hillels und vieler anderer Wissenschaftler zu erwähnen. Eine der Schlussfolgerungen, die sich aus diesen Studien ziehen lassen, ist die, dass wir alle eine erstaunlich umfangreiche Kenntnis von der Regelmäßigkeit und der statistischen Wahrscheinlichkeit der Syntaktik und der Semantik mit uns herumtragen. Psychologisch ist diese Kenntnis sehr interessant - sie ist nämlich im Jasper'schen Sinn fast völlig außerbewusst.+ Niemand, außer vielleicht ein Sprachwissenschaftler, kann auf Anhieb die Wahrscheinlichkeit des Auftretens oder die Rangordnung von Buchstaben oder Wörtern in einer bestimmten Sprache angeben; wir alle aber können einen Druckfehler entdecken und korrigieren, ein fehlendes Wort ersetzen oder einen Stotterer zur Verzweiflung treiben, indem wir seine Sätze für ihn zu Ende sprechen. Eine Sprache zu beherrschen und etwas über diese Sprache zu wissen, sind zwei Wissensformen von sehr verschiedener Art. So ist es durchaus möglich, dass jemand seine Muttersprache fehlerfrei und fließend beherrscht, ohne irgendetwas von ihrer Grammatik und Syntax zu wissen, d. h. von den Regeln, die er beim Sprechen richtig anwendet. Wenn dieselbe Person eine andere Sprache lernen müsste - außer durch denselben empirischen Lernvorgang wie bei der Muttersprache -, so müsste sie nicht nur die Sprache, sondern auch vieles über die Sprache lernen.'
Was die Redundanz in der Pragmatik der menschlichen Kommunikation betrifft, so hat dieses Gebiet in der Literatur bisher
nur sehr wenig Beachtung gefunden, besonders was die Pragmatik als zwischenmenschliches Phänomen angeht. Damit soll gesagt
sein, dass die meisten der vorhandenen Studien sich mit den Wirkungen befassen, die Person A auf Person B ausübt, ohne aber in
Betracht zu ziehen, dass, was immer B tut, auf A zurückwirkt
und dessen nächsten «Zug» beeinflusst und dass beide dabei weitgehend von dem Kontext, in dem ihre Wechselbeziehung abläuft,
beeinflusst sind und ihn ihrerseits beeinflussen.
Es lässt sich unschwer vergegenwärtigen, dass die pragmatische Redundanz im Wesentlichen der syntaktischen und der
semantischen ähnlich ist. Auch hier verfügen wir über ein
umfangreiches Wissen, das es uns ermöglicht, Verhalten zu verstehen, zu beeinflussen und vorauszusehen. Ja, auf diesem Gebiet
sind wir sogar besonders empfindlich gegen jede Ungereimtheit:
Verhalten, das im Widerspruch mit seinem Kontext steht, das
pragmatische Regeln verletzt oder dem ein Mindestmaß von Redundanz fehlt, erscheint uns als weitaus störender, als es bloß syntaktische oder semantische Regelverletzungen je sein können.
Und doch fehlt uns gerade auf diesem Gebiet eine auch nur annähernde Bewusstheit der Regeln, die in normaler Kommunikation
befolgt, in gestörter Kommunikation dagegen durchbrochen
werden. Wir sind wie eingesponnen in Kommunikation; selbst
unser Ichbewusstsein hängt, wie schon früher erwähnt, von
Kommunikation ab. Diesen Sachverhalt hat Hora sehr präzis formuliert: «Um sich selbst zu verstehen, muss man von einem
anderen verstanden werden. Um vom anderen verstanden zu
werden, muss man den andern verstehen» [61, S. 237]. Wenn aber
sprachliches Verstehen sich auf die Regeln der Grammatik, Syntax, Semantik usw. gründet, was sind dann die Regeln für das
Verstehen, das Hora meint? Es hat auch hier den Anschein, als
wüssten wir von ihnen, ohne zu wissen, dass wir von ihnen wissen. Wir sind wie eingesponnen in Kommunikation und sind
doch - oder gerade deshalb - fast unfähig, über Kommunikation zu kommunizieren. Dieser Sachverhalt ist eines der Hauptthemen unseres Buches.
Die Suche nach Ordnung ist die Grundlage aller wissenschaftlichen Forschung - dieser Grundsatz gilt auch für die Erforschung
zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie wäre ein verhältnismäßig einfaches Unterfangen, wenn es genügte, die
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