Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
Vom Netzwerk:
werden sollte, da sie mehr Angst vor diesen Situationen hatte als er.
In einem anderen Fall galt die Ehefrau als die Patientin, weil sie Angst vor
geschlossenen Räumen hatte und keine Aufzüge benutzen konnte. Das
Ehepaar war deshalb z. B. außerstande, die Dachbar eines Hochhauses zu
besuchen. Später stellte sich heraus, dass der Mann Angst vor Höhen
hatte, sich mit dieser Angst aber nie auseinanderzusetzen brauchte, weil
beide Partner übereingekommen waren, sich nie in die Obergeschosse
von Hochhäusern zu begeben, da die Frau Angst vor Aufzügen hatte [49,
S. 248].
    Fry weist dann darauf hin, dass die Symptome der Patienten
einen Schutz für den Gatten darzustellen scheinen, und unterbaut
diese Annahme mit der Beobachtung, dass das Auftreten der
Symptome zeitlich oft mit einer Änderung im Leben des Gatten
zusammenfällt, einer Änderung, die für ihn mit Angst verbunden sein könnte. Für die charakteristische Beziehungsstruktur solcher Ehepaare verwendet Fry den Ausdruck «Doppelsteuerung»
(dual control) und führt weiter aus:

    Die Symptome der Patientin versetzen sie als den leidenden Partner in
die Lage, vom Gatten zu verlangen, dass er immer in der Nähe ist und tut,
was sie sagt. Der Mann kann nichts unternehmen, ohne vorher die Patientin zu fragen und ihre Zustimmung zu erhalten. Gleichzeitig aber wird
die Patientin dadurch dauernd von ihrem Mann überwacht. Er muss
zwar immer in der Nähe des Telefons sein, damit sie ihn sofort erreichen
kann, doch andererseits kontrolliert er alles, was sie unternimmt. Sowohl
die Patientin als auch ihr Mann behaupten oft, dass der andere immer
seinen bzw. ihren Willen durchsetzt.
    Die Schwierigkeiten der Patientin ermöglichen es dem Mann, viele Situationen zu vermeiden, in denen er Angst oder ähnliche Gefühle empfinden würde, ohne selbst ein Symptom zu haben. Sie stellt für ihn eine allumfassende Ausrede dar. Er kann sich gesellschaftlichen Verpflichtungen
entziehen, da diese die Patientin angeblich stören. Er kann seine Arbeit
einschränken, weil er sich angeblich um die leidende Patientin kümmern
muss. Infolge seiner eigenen Neigung zur Absonderung und zu inadäquaten Reaktionen kommt er vielleicht schlecht mit seinen Kindern aus,
doch die Annahme, dass die Schwierigkeiten mit den Kindern durch die
Symptome der Frau bedingt sind, erspart ihm jede kritische Überprüfung seiner eigenen Beziehung zu ihnen. Er kann die Patientin sexuell
meiden unter dem Vorwand, sie sei krank und daher nicht in der Lage,
mit ihm sexuell zu verkehren. Einsamkeit mag für ihn schwer erträglich
sein, da aber die Patientin Angst hat, allein zu sein, kann er sie stets in
seiner Nähe haben, ohne dass jemals zur Sprache zu kommen braucht,
dass er diese Schwierigkeit hat.
    Die unbefriedigte Patientin kann den Wunsch nach einer außerehelichen
Beziehung haben, aber ihre phobischen Symptome hindern sie daran,
sich mit anderen Männern einzulassen. Infolge der Persönlichkeit des
Gatten und seiner Einstellung zur Krankheit der Patientin ist auch für
ihn eine Affäre keine ernsthaft zu erwägende Möglichkeit. Damit sind
sowohl die Patientin als auch ihr Gatte vor diesem Problem einigermaßen geschützt.
    Im Allgemeinen ist die Ehe unglücklich, die Gatten stehen einander fern
und sind unzufrieden, die Symptome aber halten sie zusammen. Diese
Art von Ehe könnte Zwangsehe genannt werden [49, S. 250 f.].

    4.443 Rückkopplung und Homöostasis. Eingaben (inputs - d.h.
Handlungen einzelner Familienmitglieder oder Umwelteinflüsse)
in die Familie werden vom System aufgefangen und modifiziert.
Aus Gründen der Äquifinalität müssen sowohl das Wesen des
Systems und seiner Rückkopplungsmechanismen als auch die
Natur der Eingabe berücksichtigt werden. Gewisse Familien können schwere Rückschläge ertragen und an ihnen wachsen; andere
wiederum scheinen außerstande, auch nur mit den geringfügigsten Krisen fertig zu werden. Noch extremer sind jene Familien
schizophrener Patienten, die unfähig scheinen, die natürlichen
Reifeerscheinungen ihres Kindes als solche anzuerkennen und in
ihnen den Ausdruck von Krankheit oder Bösartigkeit sehen.
Laing und Esterson beschreiben die Reaktionen einer Mutter
(«Mrs. Field») auf die zunehmende Unabhängigkeit ihrer fünfzehnjährigen schizophrenen Tochter («June»). Vom zweiten bis
zum zehnten Lebensjahr hatte June an einem angeborenen Hüftleiden gelitten, das das Tragen eines komplizierten

Weitere Kostenlose Bücher