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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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orthopädischen Apparats erforderte, der ihre Bewegungsfreiheit fast völlig
einschränkte. In der Beschreibung der ersten vierzehn Lebensjahre ihrer Tochter entwirft die Mutter den Psychiatern gegenüber
das völlig unwahrscheinliche Bild eines stets fröhlichen, lebhaften
Kindes. Diese Geschichte erzählt sie in heiterem Ton, und bei
jedem Versuch der Tochter, zu widersprechen oder etwas zu
berichtigen, verstärkt die Mutter ihren Druck auf das Kind, ihre
Darstellung anzunehmen und zu bestätigen:
    Im Sommer vor ihrer Einweisung in eine Anstalt wurde June zum ersten
Mal von ihrer Mutter getrennt, seitdem sie im Alter von zwei Jahren
wegen ihres Hüftleidens im Krankenhaus hatte liegen müssen.
    Anlass dazu war Junes Aufenthalt in einem von der Kirche geleiteten
Sommerlager für Mädchen. Als Einzige von allen Müttern brachte Mrs.
Field June ins Lager. Während der einmonatigen Abwesenheit machte
June eine Reihe von Entdeckungen über sich selbst und andere, und zu
ihrem Leidwesen ging ihre beste Freundschaft entzwei. In viel stärkerem
Maß als bisher wurde June sich sexuell ihrer selbst bewusst.
    Als sie aus dem Lager zurückkam, war sie in den Augen der Mutter
«nicht mehr meine June. Ich kannte sie nicht ... »

    Ihre Mutter war über diese Veränderungen sehr beunruhigt, und zwischen August und Dezember konsultierte sie deswegen zwei Ärzte und
die Schulleiterin. Niemand von ihnen sah irgendetwas Abnormales in
June, auch nicht ihre Schwester oder ihr Vater. Mrs. Field aber konnte sie
nicht in Ruhe lassen.
    Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Mrs. Fields Bild von June
nie zutreffend gewesen war. Junes Leben war ihrer Mutter völlig unbekannt. Sie war scheu und gehemmt, aber groß für ihr Alter und sehr aktiv
im Schwimmen und anderen Sportarten, die sie ihrer Verkrüppelung
wegen ausübte. Obwohl aktiv, war sie aber doch nicht unabhängig, denn
sie hatte sich - wie sie uns erklärte - weitgehend ihrer Mutter gefügt und
nur selten gewagt, ihr zu widersprechen. Im Alter von dreizehn Jahren
hatte sie allerdings unter dem Vorwand, den Kirchenklub zu besuchen,
mit Jungen auszugehen begonnen.
    Nach ihrer Rückkehr aus dem Ferienlager begann sie sich zum ersten
Mal darüber zu äußern, was sie über sich selbst, ihre Mutter, die Schule,
Gott, andere Leute usw. dachte. Im Vergleich dazu, was man normalerweise von einem Mädchen ihres Alters erwarten würde, waren diese
Äußerungen sehr zaghaft.
    Ihre Wesensänderung wurde von ihren Lehrerinnen begrüßt, von ihrer
Schwester mit normalem schwesterlichem Sticheln begegnet und von
ihrem Vater anscheinend als Teil des Problems hingenommen, eine Tochter zu haben. Nur ihre Mutter sah darin einen Ausdruck von Krankheit
und fühlte sich in dieser Meinung bestärkt, als June sich während und
nach den Weihnachtsferien stärker zu verschließen begann.
    Die Ansicht der Mutter über die Ereignisse, die zu Junes beinahe vollständiger Passivität führten, können wie folgt zusammengefasst werden:
June war seit August krank. Ihre Persönlichkeit erfuhr schleichende Veränderungen; daheim war sie grob, aggressiv, wild und frech, in der Schule
dagegen zurückgezogen und befangen. Nach Ansicht von Mrs. Field
kennt eine Mutter ihre Tochter am besten und kann daher den Beginn
einer Schizophrenie vor allen anderen (Vater, Schwester, Lehrerinnen
und Ärzte) feststellen [88, S. 137ff.].
    Über Junes direkt beobachteten Anstaltsaufenthalt und ihre
Remission berichten die beiden Forscher Folgendes:
    Die Zeit, während der June klinisch kataton war und ihre Mutter sie wie
ein Baby betreute, dauerte drei Wochen und war die harmonischste Phase
ihrer Beziehung, die wir direkt beobachten konnten.
    Der Konflikt setzte erst ein, als June unserer Ansicht nach zu remittieren
begann.

    Während Junes Besserung widersetzte sich die Mutter fast jeder Veränderung und betrachtete unweigerlich als Rückschritte, was für uns und
June selbst (sowie nach Ansicht der Schwestern, Sozialarbeiter und
Beschäftigungstherapeuten) Fortschritte waren.
    Hier sind einige Beispiele dafür.
    June begann, etwas Initiative zu zeigen. Ihre Mutter war darüber sehr
beunruhigt, entweder weil June Unverantwortlichkeit an den Tag legte
oder weil es nicht Junes Art war, etwas zu tun, ohne vorher um Erlaubnis
zu fragen. Dagegen, was June tat, war zwar nichts einzuwenden, wohl
aber dagegen, dass sie nicht zuerst fragte ...
    Ein anderes, die Mutter beunruhigendes

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