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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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betrachten, deren Funktion
es ist, das gestörte System wieder in seinen wenn auch noch so
prekären oder pathologischen Gleichgewichtszustand zurückzubringen. Dieser Sachverhalt soll nun unter Heranziehung einiger
schon behandelter Prinzipien näher erläutert werden.
    4.441 Ganzheit. Das Verhalten jedes einzelnen Familienmitglieds
hängt vom Verhalten aller anderen ab - alles Verhalten ist ja Kommunikation und beeinflusst daher andere und wird von diesen
anderen rückbeeinflusst. Wie bereits erwähnt, stellen Besserungen oder Verschlechterungen im Zustand jenes Familienmitglieds, das als Patient bezeichnet wird, hierin keine Ausnahme
dar; sie haben fast immer eine Rückwirkung auf das psychische,
soziale oder physische Wohlbefinden anderer Angehöriger. Familientherapeuten, die ein konkretes Problem lösen, sehen sich oft einer scheinbar ganz neuen Krise gegenüber. Das folgende
Beispiel ist in dieser Hinsicht von allgemeiner Gültigkeit, obwohl
es der besonderen Augenfälligkeit des therapeutischen Misserfolgs wegen gewählt wurde.

    Ein Ehepaar begibt sich auf Wunsch der Frau in Ehetherapie.
Die Beschwerde der Frau erscheint mehr als gerechtfertigt: Ihr
Gatte, ein junger, ordentlicher, sympathischer und geistig lebhafter Mann, hat es irgendwie fertiggebracht, die Volksschule zu
absolvieren, ohne jemals lesen und schreiben gelernt zu haben.
Während seines Militärdienstes widerstand er erfolgreich einer
Spezialschule für analphabetische Soldaten. Nach seiner Entlassung begann er, sich als Hilfsarbeiter zu verdingen, und ist natürlich von jeder Beförderung ausgeschlossen. Seine Frau ist eine
hübsche, energische und äußerst gewissenhafte Person. Infolge
des Analphabetentums ihres Mannes trägt sie die Hauptlast der
Verantwortungen für die ganze Familie und muss u. a. den Mann
häufig zu neuen Arbeitsplätzen bringen, da er weder Straßenschilder noch Stadtpläne lesen kann.
    Im Verlauf der Behandlung entschließt sich der Mann verhältnismäßig bald, einen Abendkurs für Analphabeten zu besuchen,
bittet seinen Vater, die Rolle eines Hauslehrers zu übernehmen,
und macht seine ersten holprigen Fortschritte in Schreiben und
Lesen. Vom therapeutischen Standpunkt aus scheint alles in bester Ordnung zu verlaufen, bis der Therapeut eines Tages einen
Anruf der Frau erhält, die ihm mitteilt, dass sie nicht mehr zu den
gemeinsamen Sitzungen kommen werde und die Scheidung eingereicht habe. Wie in dem alten Witz, war «die Operation (die
Behandlung) gelungen, aber der Patient (die Beziehung) tot». Der
Therapeut hatte die zwischenmenschliche Bedeutung des Problems nicht voll berücksichtigt und durch dessen Lösung die bisher komplementäre Ehebeziehung zerstört (ohne den Partnern
zu einer neuen Beziehungsstruktur zu verhelfen), obwohl die
Behebung des Analphabetentums genau das war, was die Frau
sich ursprünglich von der Therapie erhofft hatte.

    4.442 Übersummation. Die Analyse einer Familie ist nicht die
Summe der Analyse aller Familienmitglieder. Die Eigenschaften
des Familiensystems, d. h. die Strukturen ihrer Interaktion, sind
mehr als die Eigenschaften der einzelnen Individuen. Viele dieser
«individuellen Eigenschaften», besonders symptomatisches Verhalten, erweisen sich in zwischenmenschlicher Sicht als Eigenschaften des Familiensystems. Fry z. B. untersuchte den ehelichen
Kontext einer Gruppe von Patientinnen, die unter Angst, Phobie
oder Zwang litten. In keinem dieser Fälle war der Ehemann selbst
als klinisch normal zu bezeichnen. Von noch größerem Interesse
für unsere Theorie ist jedoch die subtile und umfassende Verzahntheit des Verhaltens dieser Paare. Fry berichtet darüber:
    Sorgfältige Exploration der Gatten ergab eine Anamnese von Symptomen, die ähnlich oder sogar identisch mit denen der Patientinnen waren.
In den meisten Fällen machten die Gatten ihre Enthüllungen nur sehr
widerwillig. Eine der Patientinnen war z. B. nicht nur unfähig, allein auszugehen, sondern geriet auch in Begleitung in eine Panik, wenn sie hell
erleuchtete überfüllte Lokale betreten oder in einer Schlange stehen
musste. Ihr Mann leugnete zunächst eigene emotionale Probleme, gab
dann aber zu, gelegentlich Angstgefühle zu haben und gewisse Situationen
zu meiden. Die von ihm gemiedenen Situationen waren: Menschenmengen, Schlangestehen und das Betreten hell erleuchteter öffentlicher Lokale.
Beide Partner bestanden indessen darauf, dass die Frau als Patientin angesehen

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