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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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bereits
erwähnten Begriff der Regel ist. Der Thermostat der Zentralheizung ist dafür das klassische Analogon. Er wird auf eine bestimmte
Temperatur eingestellt - oder kalibriert -, sodass ein Absinken
der Temperatur unter diesen Wert die Heizung einschaltet, bis die
Abweichung von der Norm (der gewünschten Zimmertemperatur) durch negative Rückkopplung ausgeglichen ist. Wenn nun
aber die Einstellung des Thermostaten verändert wird, also höher
oder tiefer gesetzt wird, so ergibt sich daraus eine Veränderung
des Systems selbst, obwohl sein negativer Rückkopplungsmechanismus unverändert bleibt. Wenn eine solche Veränderung der
Kalibrierung - der Gangwechsel in einem Auto ist ein anderes
Beispiel dafür - im Verhalten des Systems selbst liegt, so sagt
man, es enthalte Stufenfunktionen.
    Stufenfunktionen wirken, genau wie die Rückkopplung, stabilisierend und erhöhen die Umweltanpassung eines Systems
beträchtlich. Ihre Beziehung zur Rückkopplung ist so zu verstehen: Der Rückkopplungskreis Fahrer-Gaspedal-Geschwindigkeit
hat in jedem Gang ganz bestimmte Grenzen. Zur Erhöhung der
Fahrgeschwindigkeit oder beim Befahren einer steil ansteigenden
Straße wird eine Neukalibrierung (ein Gangwechsel) notwendig.
Es besteht guter Grund zu der Annahme, dass es auch in der Dynamik von Familien so etwas wie Stufenfunktionen geben muss. Die
Psychose eines Familienmitglieds z. B. ist eine einschneidende Veränderung, die das System neu kalibriert und dadurch sogar adaptiv wirken kann.' Fast unvermeidlich haben intrafamiliäre Veränderungen (vor allem die Zunahme von Alter und Reife bei allen Familienmitgliedern) einen Einfluss auf die Kalibrierung des Systems, und dasselbe gilt natürlich für die oft viel drastischeren Umwelteinflüsse (wie Beginn des Schulbesuchs, Militärdienst, Ablösung der Kinder durch Ergreifen eines Berufs oder durch Heirat, Pensionierung des Vaters und dergleichen mehr).

    In diesem Sinn haben die von Jackson [65, 66] festgestellten
homöostatischen Mechanismen vermutlich eine weit über das
Klinische hinausgehende Bedeutung. Die Anwendung dieses
Modells auf Familien oder auf größere soziale Strukturen zeigt,
dass auch in ihnen Kalibrierungen von gebräuchlichem und
zulässigem Verhalten bestehen, nämlich die (meist ganz außerbewussten) Regeln einer Familie oder die Gesetze einer bestimmten
menschlichen Gesellschaft, und dass die diesen Strukturen angehörenden Individuen sich gewöhnlich innerhalb dieser Grenzen
bewegen. Damit ist weitgehende Stabilität erreicht, da jedes Verhalten, das diese Grenzen verletzt, korrigiert wird. Optimal bieten diese Grenzen dem Individuum genügend Spielraum für seine
Lebensbedürfnisse und sind daher ein Schutz und kein Hindernis. Wenn aber, wie das im Lauf sozialer Systeme immer wieder
geschieht, die Kalibrierungen ihre optimale Bedeutung zu verlieren beginnen, so wird eine Neukalibrierung, also ein Sprung zu
einer neuen Verhaltensform, unvermeidlich. Wenn die Tür des
Kühlschranks versehentlich offen bleibt, ergibt sich eine Situation, die nicht mehr innerhalb der Leistungsgrenzen des Kühlaggregats liegt. Das System (der Kühlschrank) müsste imstande
sein, dieser Gegebenheit auf andere Weise zu begegnen, um seine
alte Stabilität wiederherzustellen - also z. B. durch selbstständiges
Prüfen und Änderung der Position der Tür. Dieser Sprung von
Kühlen auf Türschließen würde eine Stufenfunktion darstellen. In ganz ähnlicher Weise wird innerhalb einer Familie eine Neukalibrierung z. B. dann notwendig, wenn der Sohn das Alter überschreitet, bis zu dem die Eltern ihm das Rauchen verbieten konnten. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Rauchverbot eine wirksame
und sinnvolle Regel; nun wird eine Neukalibrierung (eine Änderung bzw. Ersetzung dieser Regel) nötig, wenn das Familiensystem nicht einen Teil seiner Stabilität durch einen endlosen Konflikt zwischen Elternautorität und Selbstbehauptung des Jungen
einbüßen soll. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die
meisten Staaten Westeuropas, den Visumzwang für Ausländer
abzuschaffen, da die schwerfällige Konsulatsmaschinerie dem
zunehmenden Reiseverkehr nicht mehr gewachsen war und daher
die Kalibrierung (der Visumzwang), die bis dahin (zumindest
nach Ansicht der Behörden) eine sinnvolle Schutzmaßnahme
darstellte, zum anachronistischen Hemmschuh geworden war.

    Diese Beispiele ließen sich leicht durch weitere ergänzen. Sie
alle zeigen, dass

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