Menschliche Kommunikation
Interaktionen [137]. Um wiederum eine Spielanalogie heranzuziehen: Bei jedem Spiel verändert jeder Zug die gegenwärtige
Konfiguration des Spiels, beschränkt die von diesem Augenblick
an offenstehenden Möglichkeiten und beeinflusst damit den weiteren Verlauf des Spiels. In analoger Weise schränkt die Definition
einer Beziehung als symmetrisch oder komplementär oder die
Einführung einer bestimmten Interpunktion die Reaktionsmöglichkeiten des Partners mehr oder weniger ein. Der hypothetische
Flugpassagier in Abschnitt 3.23, der sich in ein Gespräch einlässt,
findet sich schließlich tiefer und tiefer darin verstrickt, obwohl er
sich ursprünglich nur über Belanglosigkeiten unterhalten wollte.
Quasiklinische Illustrierungen dieser theoretischen Überlegungen finden sich im 5. Kapitel, Beispiele für die besonders einschränkende Wirkung paradoxer Kommunikationen werden im
6. Kapitel behandelt, wo gezeigt werden soll, dass zwischenpersönliche Paradoxien gegenseitig so verzahnt sind, dass Oszillationen auftreten, die die Partner in komplexe, unhaltbare und dennoch unausweichliche Zwangslagen versetzen.
4.43 Beziehungsregeln. Der Leser wird sich daran erinnern, dass
in jeder Kommunikation eine Definition der Beziehung enthalten
ist; etwas unverblümter ließe sich auch sagen, dass jeder Beziehungspartner die Beziehung in seiner Weise zu gestalten sucht.
Auf jede Definition der Beziehung reagiert der andere mit seiner
eigenen und bestätigt, verwirft oder entwertet damit die des Partners. Dieser Vorgang verdient unsere Aufmerksamkeit, denn zur
Herstellung einer stabilen Beziehung kann die Frage ihrer Definierung durch die Partner nicht ungelöst oder im Hin und Her
unvereinbarer Auffassungen gelassen werden. Wird diese Stabilisierung nicht erreicht, so führen die sich daraus ergebenden
Schwankungen - ganz zu schweigen von der Umständlichkeit,
die Beziehung immer wieder neu definieren zu müssen - zu Krisen und eventuell zum Bruch. Sogenannte pathologische Familien, die unablässig über Beziehungsfragen streiten können (vgl.
Abschnitt 3.31), sind ein Beispiel dafür, obwohl es unserer Erfahrung nach selbst hier Grenzen gibt und das scheinbare Chaos
ihrer Interaktion sich bei näherem Hinsehen oft als überraschend
regelgesteuert erweist. Über die Notwendigkeit der Ausarbeitung einer stabilen Beziehung schreibt Jackson:
Ehepaare, die während ihrer Verlobungszeit eine erstaunliche Mannigfaltigkeit in ihrem Verhalten aufweisen, erzielen nach und nach offensichtlich eine bemerkenswerte Sparsamkeit hinsichtlich dessen, was zur
Debatte stehen und wie darüber debattiert werden darf. Es scheint, dass
sie viele Verhaltensformen ein für allemal aus ihrem Repertoire ausgeschlossen haben und nie wieder in Betracht ziehen [70, S. 31].
Jackson [69, 70] nennt diese Stabilisierung Beziehungsregel; sie ist
eine Aussage über die auf der Beziehungsstufe beobachtbare
Redundanz, deren Gültigkeit sich über ein weites Spektrum von
Gegebenheiten auf der Inhaltsstufe erstreckt. Diese Regel kann
sich auf Symmetrie oder Komplementarität beziehen, auf eine
bestimmte Interpunktion (z.B. die Zuweisung der Sündenbockrolle), gegenseitige Beziehungsblindheit und dergleichen mehr. In
jedem Fall lässt sich eine weitgehende Umschreibung zulässiger Verhaltensformen beobachten, was Jackson [70] dazu veranlasste,
Familien als regelgesteuerte Systeme aufzufassen. Dies soll natürlich nicht besagen, dass das Verhalten von Familien a priori bestehenden Regeln unterworfen ist. Die Regeln, von denen wir hier
sprechen, sind - wie schon erwähnt - Redundanzen, die der
Beobachter aus dem Verlauf der Phänomene ableitet, und nicht
Dinge an sich.
4.44 Die Familie als System. Der so abgeleitete Begriff von Regeln
in der Interaktion von Familien ist vereinbar mit der grundlegenden Definition eines Systems als «stabil in Bezug auf gewisse seiner Variablen, wenn diese Variablen die Tendenz haben, innerhalb bestimmter festgelegter Grenzen zu bleiben».
Ein diesbezügliches Modell wurde von Jackson [65] entworfen, als er den Begriff der Familienhomöostasis einführte. Die
Erfahrungstatsache, dass die Besserung eines psychiatrischen
Patienten oft drastische Rückwirkungen auf die Familie hat
(Depressionen, psychosomatische Störungen oder ähnliche Krisen bei anderen Familienmitgliedern), führte ihn dazu, diese
Reaktionen - und daher auch die Krankheit des Patienten - als
«homöostatische Mechanismen» zu
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