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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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System ist stabil in Bezug auf gewisse seiner Variablen,
wenn diese innerhalb festgelegter Grenzen bleiben, und dies gilt
auch für Georges und Marthas dyadisches System. «Stabilität»
scheint der für ihre häuslichen Guerillaunternehmen am wenigsten zutreffende Ausdruck zu sein, doch hängt dies von den in
Betracht gezogenen Variablen ab. Georges und Marthas Auseinandersetzungen sind schlagfertig, lautstark, schockierend; Zurückhaltung und gesellschaftlicher Takt werden nur zu rasch über
Bord geworfen, und es scheint, dass es für sie überhaupt keine
Grenzen gibt. An jedem beliebigen Punkt des Stückes wäre es schwierig zu mutmaßen, was als Nächstes geschehen wird. Es wäre aber verhältnismäßig leicht, zu beschreiben, wie es geschehen wird. Denn die Variablen, die die Stabilität eines solchen Systems gewährleisten, liegen auf der Beziehungs-, nicht auf der Inhaltsstufe, und auf der Beziehungsstufe zeigen George und Martha einen Grad von Redundanz, der in einem erstaunlichen Gegensatz zum Feuerwerk ihres jeweiligen Verhaltens steht.'

    5.452 Die Grenzen dieses Verhaltens unterliegen der Kalibrierung, der «Einstellung» des Systems. Die Symmetrie des Verhaltens von George und Martha definiert ihre Beziehung sowie eine ganz bestimmte «untere Grenze», was bedeutet, dass nichtsymmetrisches Verhalten nur selten und ganz vorübergehend beobachtet werden kann. Die «obere Grenze» ist durch negative Rückkopplungen während ihrer kurzen Perioden von Komplementarität und durch den Sohnmythus festgelegt. Dieser Mythus bedarf zu seiner Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit beider Partner und bedingt so eine relativ stabile Symmetrie - bis schließlich der Unterschied zwischen Sohnmythus und sonstigem Verhalten zusammenbricht und auch der Mythus nicht mehr unantastbar und homöostatisch ist. Doch selbst im Bereich der Symmetrie sind Georges und Marthas Verhaltensmöglichkeiten begrenzt; ihre Symmetrie ist fast immer die des potlatch10 und besteht im Vernichten statt im Erreichen gemeinsamer Ziele oder
anderer Leistungen.

    5.453 Mit der zur Vernichtung des Sohns führenden Eskalation
erreicht die Handlung einen Punkt, der eine Neukalibrierung,
eine Stufenfunktion, in Georges und Marthas System bedeuten
könnte. Die Eskalation verlief ungehemmt bis zur Durchbrechung der Systemgrenzen. Eine neue Form der Interaktion ist
jetzt notwendig - es sei denn, sie setzten den Sohnmythus in der
von Ferreira vermuteten Form fort. George und Martha sprechen
nun offen von ihrer Angst und ihrer Unsicherheit, in die sich
etwas Hoffnung mischt:
    Martha: Musstest du ... musstest du wirklich?
    George (Pause): Ja.
    Martha: War es ...? Musstest du wirklich?
    George (Pause): Ja.
    Martha: Ich bin nicht sicher ...
    George: Es war höchste Zeit.
    Martha: Wirklich?
    George: Ja.
    Martha (Pause): Mir ist kalt.
    George: Es ist spät.
    Martha: Ja.
    George (lange Stille): Wir kommen drüber weg.
    Martha (lange Stille): Ich ... weiß nicht.
    George: Doch. Sicher.
    Martha: Ich bin nicht so sicher.
    George: Doch. Doch.

    Martha: Nur wir ... beide?
    George: Ja.
    Martha: Glaubst du nicht, wir könnten ...
    George: Nein, Martha.
    Martha: Ja. Nein. [S. 142f]

     

6.1 Über das Wesen der Paradoxien
    Seit zweitausend Jahren beschäftigen die Paradoxien den menschlichen Geist und haben auch heute noch nichts von ihrer Faszination verloren. Einige der bedeutsamsten Errungenschaften
unseres Jahrhunderts auf dem Gebiete der Logik, der Mathematik und der Wissenschaftslehre beruhen mittelbar oder unmittelbar auf der Berücksichtigung von Paradoxien, so z. B. die
Entwicklung der Metamathematik oder die Beweistheorie, die
logische Typentheorie, Probleme der Widerspruchsfreiheit, Berechenbarkeit, Entscheidbarkeit usw. Entmutigt durch die komplexe und esoterische Natur dieser Wissensgebiete, neigt man
dazu, die Paradoxien als etwas beiseitezuschieben, das für praktische Lebensprobleme zu abstrakt ist, oder man erinnert sich
noch einiger klassischer Paradoxien aus der Schulzeit - dann
aber wohl nur als amüsante Merkwürdigkeiten ohne praktische
Bedeutung. Der Zweck dieses und der beiden folgenden Kapitel
ist es jedoch, nachzuweisen, dass es im Wesen der Paradoxien
vieles gibt, das von unmittelbarer pragmatischer und sogar exiszentieller Bedeutung ist, und dass die Paradoxien nicht nur in
menschlicher Kommunikation ihr Unwesen treiben, sondern
auch unser Verhalten und unseren Geisteszustand beeinflussen
können, indem sie unser

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