Menschliche Kommunikation
Vertrauen in die Folgerichtigkeit unserer Welt erschüttern. In Abschnitt 7.4 werden wir ferner zu zeigen versuchen, dass der absichtliche Gebrauch von Paradoxien im Sinne der hippokratischen Maxime «Similia similibus curantur» große therapeutische Bedeutung hat. Wir glauben, dass
unsere Ausführungen über die Paradoxien durch deren überragende praktische Wirkungen gerechtfertigt sind und daher nicht
einen Rückzug in einen Elfenbeinturm darstellen, obwohl wir
erst ihre abstrakten, logischen Grundlagen untersuchen müssen.
6.11 Definition. Eine Paradoxie lässt sich als ein Widerspruch definieren, der sich durch folgerichtige Deduktion aus widerspruchsfreien Prämissen ergibt. Diese Definition erlaubt es uns, sofort alle jenen «falschen» Paradoxien auszuschließen, die auf einem verborgenen Denkfehler oder einem absichtlich in das Argument eingebauten Trugschluss beruhen.' Aber bereits an diesem Punkt wird unsere Definition unklar, denn die Teilung der Paradoxien in wahre und falsche ist sehr relativ. Unsere heutigen widerspruchsfreien Prämissen können die Irrtümer und Trugschlüsse von morgen sein. So war z. B. Zenos Paradoxie von Achilles und der Schildkröte, die er nicht einholen konnte, zweifellos eine «wahre» Paradoxie, solange man nicht wusste, dass unendliche konvergierende Reihen (in diesem Fall die immer kleiner werdende Entfernung zwischen Achilles und der Schildkröte) einen endlichen Grenzwert haben. Als dies entdeckt wurde und damit eine bisher für verlässlich gehaltene Annahme sich als Trugschluss erwies, bestand die Paradoxie nicht mehr. Quine bemerkt hierzu:
Revisionen eines Begriffssystems sind nichts Seltenes. Sie finden in kleinem Ausmaß mit jedem Fortschritt der Wissenschaft statt und in größerem Maßstab mit den großen Fortschritten, wie z. B. der kopernikanischen Revolution oder dem Übergang von Newtons Mechanik zur
Relativitätstheorie Einsteins. Wir können hoffen, dass wir uns mit der
Zeit sogar an die größten derartigen Änderungen gewöhnen und die
neuen Lehrsätze natürlich finden werden. Es gab eine Zeit, in der die
Lehre, dass die Erde um die Sonne kreise, sogar von den Männern, die
diese Lehre akzeptierten, die kopernikanische Paradoxie genannt wurde.
Und vielleicht wird eine Zeit kommen, da Aussagen ohne Tiefzahlen
oder ähnliche Vorsichtsmaßregeln wirklich so unsinnig erscheinen, wie
es die Antinomien beweisen [116, S. 88 f.].
6.12 Die drei Arten von Paradoxien. Der im obigen Zitat enthaltene Ausdruck «Antinomien» wird manchmal gleichbedeutend
mit «Paradoxien» verwandt, obwohl er meist den Paradoxien
vorbehalten bleibt, die in formalen Systemen wie Logik und
Mathematik auftreten. (Der Leser wird sich vielleicht fragen, wo
sonst noch Paradoxien auftreten könnten; dieses und das nächste
Kapitel sollen zeigen, dass sie auch im Gebiet der Semantik und
der Pragmatik möglich sind.) Nach Quine ergibt eine Antinomie
«eine Selbstkontradiktion durch übliche einwandfreie Ableitung» [116, S. 85]. Stegmüller [140, S. 24] ist in seiner Definition
ausführlicher und nennt eine Antinomie eine logische Aussage,
die sowohl kontradiktorisch als auch beweisbar ist. Wenn wir
also einen Satz S. haben und einen zweiten kontradiktorischen
Satz -Si, der somit die Verneinung des ersten ist (und «nicht Si»
oder «S, ist falsch» bedeutet), so können diese beiden Sätze zu
einem dritten, Sk, gemacht werden, wobei dann Sk = Si und -S..
Wir erhalten dadurch einen formalen Widerspruch, denn nichts
kann sowohl es selbst als auch nicht es selbst sein, d.h. sowohl
wahr als auch falsch. Wenn aber, wie Stegmüller ausführt, durch
Ableitung sowohl Si als auch seine Negation, -Si, bewiesen werden können, dann ist auch Sk beweisbar, und wir haben eine Antinomie. Somit ist jede Antinomie eine Kontradiktion, nicht aber,
wie wir noch sehen werden, jede Kontradiktion eine Antinomie.
Nun existiert jedoch eine zweite Gruppe von Paradoxien, die sich von den Antinomien nur in einem wichtigen Punkt unterscheiden: Sie treten nicht in mathematischen oder logischen Systemen auf - beruhen also nicht auf Begriffen wie Zahl und Klassen -, sondern haben ihren Ursprung in verborgenen Regelwidrigkeiten der Struktur unserer Sprache.' Diese zweite Gruppe wird oft als semantische Antinomien oder paradoxe Definitionen bezeichnet.
Schließlich gibt es eine dritte Gruppe von Paradoxien, und diese ist die am wenigsten erforschte, gleichzeitig aber für unsere
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