Mephisto
fürchten begann, mußte er weinen, als er den Brief Angelikas gelesen hatte. Nicht nur Nervosität und Überreiztheit ließen ihn schluchzen, sondern auch eine echte Rührung machte ihm die Augen naß. Welche Seligkeit, welche Entschädigung für so viel Erlittenes wäre es für die kleine Angelika gewesen, hätte sie sehen dürfen, daß er, um dessentwillen sie unendliche Tränen vergossen hatte, nun seinerseits weinte, und daß es schließlich doch noch ihre Liebe war, die seine kostbaren, gefährlichen und kalten Augen füllte mit den salzigen Tropfen.
Angelika berichtete in ihrem Brief, daß sie in Berlin sei, ein bißchen filmen dürfe, und daß es ihr leidlich gut gehe. Ein erfolgreicher junger Regisseur habe es sich in den Kopf gesetzt, sie zu heiraten, ›aber natürlich denke ich nicht daran‹, schrieb sie, und Hendrik mußte lächeln, als er es las: Ja, so war sie – spröde und ablehnend gegen Werbungen und Angebote, mochten sie noch so verlockend sein; eigensinnig versessen auf das Unerreichbare, und ihr Gefühl immer dorthin verschwendend, wo es übersehen und mißachtet wurde. – Bei den Aufnahmen zu einem großen Biedermeier-Lustspiel hatte sie die Bekanntschaft der Aktrice Lindenthal gemacht, eben jener Dame, die in Jena erste Sentimentale, gleichzeitig aber die Freundin eines nationalsozialistischen Fliegeroffiziers gewesen war. Hendrik, der die deutschen Ereignisse mit Gier und Haß in den Zeitungen verfolgte, wußte, daß der Fliegeroffizier zu den Mächtigsten des neuen Reiches gehörte. Also war auch Lotte Lindenthal eine einflußreiche Person geworden. Bei ihr hatte sich Angelika Sieben mit Erfolg für Hendrik verwendet.
In schwärmerischen Tönen schilderte der Brief den überlegenen Charme, die Klugheit, Sanftmut und Würde der Lindenthal. Man durfte – nach Angelikas Meinung – sicher sein, daß diese herzensgute und liebliche Dame ihren mächtigen Freund in jeder Hinsicht auf das günstigste beeinflussen werde. Sie tat es jetzt schon, besonders in allen Dingen, die das Theater betrafen. Der große Mann hatte ein huldvolles Interesse für Schauspiel, Operette und Oper. Seine Geliebten – oder die Damen, denen seine besondere Verehrung galt – waren meist Bühnenkünstlerinnen vom üppigen und sentimentalen Typ. Ihnen tat er gerne jeglichen Gefallen, solange es sich um nichts Ernsthaftes handelte, sondern nur um heitere Nebensächlichkeiten, wie etwa um die Karriere eines Schauspielers. – Lotte Lindenthal war von der kleinen Siebert darauf aufmerksam gemacht worden, daß Hendrik Höfgen in Paris sitze und sich nicht nach Deutschland traue. Hierüber hatte die Favoritin des Gewaltigen gutmütig lachen müssen. Was fürchtete dieser Mensch? – wollte sie wissen und machte naive Augen. Höfgen war doch kein Jude, vielmehr ein blonder Rheinländer, und einer Partei hatte er niemals angehört. Übrigens war er ein bedeutender Künstler – Fräulein Lindenthal hatte ihn als Mephisto gesehen. »Leute wie ihn können wir gar nicht entbehren«, sagte die kostbare Frau, und sie versprach, noch am gleichen Tage mit ihrem mächtigen Freund über den Fall zu reden. »Männe ist doch durch und durch liberal«, versicherte die erste Sentimentale aus Jena, die es wissen mußte – und alle Anwesenden spürten einen ehrfürchtigen Schauer, weil sie sich dazu herbeiließ, von dem gefürchteten Riesen auf so traulich-intime Art zu reden. »Er ist auch gar nicht nachträgerisch. Mag dieser Höfgen sich früher allerlei Extravaganzen und kleine Torheiten geleistet haben – für so was bringt Männe Verständnis auf, wenn es sich um einen Künstler von Qualität handelt. Hauptsache ist schließlich der gute Kern«, sprach Lotte ein wenig sinnlos, aber mit herzhafter Betonung. Und sie tat, wie sie verheißen hatte. Als der Mächtige seine Abendvisite machte, bettelte sie: »Männe, sei lieb!« Sie habe sich's nun mal in den Kopf gesetzt: in dem Lustspiel, mit dem sie am Berliner Staatstheater debütieren solle, müsse Hendrik Höfgen ihr Partner sein. »Keiner eignet sich so für die Rolle wie er«, schwatzte die Sentimentale. »Schließlich liegt doch auch dir daran, daß ich einen netten Partner habe, wenn ich das erste Mal hintrete vor die Berliner Volksgenossen!« Der General erkundigte sich, ob Höfgen ein Jude sei. Da er erfuhr, daß es sich, ganz im Gegenteil, um einen garantiert blonden Rheinländer handelte, versprach er, ›diesem Burschen‹ solle nichts geschehen, was immer er auch früher
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