Mephisto
brauchte. Und nun hatte sie ihm auch noch die klassische Rolle verschafft, und mit ihr die große Erfolgschance … Konnte er, Miklas, nicht hingehen und dieser Lotte Lindenthal erzählen, was Höfgen damals, in der Kantine, über sie geäußert hatte? Wer hinderte ihn daran? – Aber war es der Mühe wert? Würde man ihm denn glauben? Konnte er sich nicht auch noch lächerlich machen? Und hatte schließlich Höfgen so ganz unrecht gehabt, als er diese Lindenthal eine blöde Kuh nannte? War sie nicht eine? Miklas schwieg, ballte die Fäuste und wandte den Kopf der Dunkelheit zu, damit niemand die Tränen sähe in seinen Augen.
Eine Stunde später mußte er seine Szene mit Höfgen-Mephistopheles probieren. In demütiger Haltung hatte er sich dem Schriftgelehrten, der eigentlich der Teufel war, zu nahen, und vorzubringen:
»Ich bin allhier erst kurze Zeit
und komme voll Ergebenheit,
einen Mann zu sprechen und zu kennen,
den alle mir mit Ehrfurcht nennen.«
Die Stimme des Schülers klang rauh, und sie wurde zu einem Stöhnen, als der Jüngling auf all die verwirrenden Weisheiten, die höhnischen Sophismen des maskierten Satans zu erwidern hatte:
»Mir wird von alledem so dumm,
als ging' mir ein Mühlrad im Kopf herum.«
Der ›Faust‹-Aufführung des Staatstheaters wohnte der Ministerpräsident und Fliegergeneral in Begleitung seiner Freundin Lotte Lindenthal bei. Die Vorstellung begann mit einer Viertelstunde Verspätung, weil der große Herr auf sich warten ließ. Aus seinem Palais wurde telephoniert, er sei festgehalten durch eine Besprechung mit dem Reichswehrminister. Die Schauspieler in ihren Garderoben aber flüsterten sich spöttisch zu, daß er einfach wieder einmal nicht rechtzeitig fertig werde mit seiner Toilette. »Er braucht doch immer eine Stunde, um sich umzuziehen«, kicherte die Darstellerin des Gretchens, die so blond war, daß sie sich kleine Aufsässigkeiten leisten durfte. Übrigens vollzog sich der Eintritt des hohen Paares dann mit betonter Dezenz. Der Ministerpräsident hielt sich im Hintergrund seiner Loge, solange Licht im Saal war. Nur die Leute in den ersten Parkettreihen bemerkten ihn und schauten ehrfurchtsvoll auf seine geschmückte Uniform, die einen purpurnen Kragen und breite silberne Manschetten zeigte, und auf das blitzende Brilliantendiadem seiner hochbusigen, ährenblonden Freundin. Erst als der Vorhang sich hob, setzte sich der Minister, wobei er ein leises Ächzen hören ließ, denn es bereitete Mühe, die Fettmassen seines Leibes auf dem relativ schmalen Fauteuil in Ordnung zu bringen.
Während des Prologs im Himmel machte der illustre Zuschauer ein pflichtgemäß ergriffenes Gesicht. Die folgenden Szenen der Tragödie, ihr Ablauf bis zu jenem Moment, da Mephistopheles als Pudel sich in Faustens Studierzimmer geschlichen hat, schienen ihn etwas zu langweilen; während des ersten großen Faust-Monologs konnte man ihn mehrfach gähnen sehen, und auch der ›Osterspaziergang‹ unterhielt ihn nicht: er flüsterte der Lindenthal etwas zu, was wahrscheinlich unfreundlichen Sinn hatte.
Hingegen wurde der Gewaltige animiert, sowie Höfgen-Mephistopheles die Szene betrat. Als der Doktor Faust ausrief: »Das also war des Pudels Kern! Ein fahrender Scholast? Der Casus macht mich lachen« – da lachte auch der hohe Würdenträger, und zwar so laut und herzlich, daß niemand es überhören konnte. Lachend neigte sich der schwere Mann nach vorne, indem er seine beiden Arme auf die rotsamtene Brüstung der Loge stützte, und von nun ab verfolgte er mit amüsierter Aufmerksamkeit die Handlung – genauer gesagt: das tänzerisch gewandte, durchtrieben anmutige, ruchlos charmante Spiel Hendrik Höfgens.
Lotte Lindenthal, die ihren Männe kannte, begriff sofort: Dies ist Liebe auf den ersten Blick. Höfgen hat es meinem Dicken angetan – was ich nur zu gut begreife. Denn der Bursche ist ja auch zauberhaft, und in seinem schwarzen Kostüm, mit der diabolischen Pierrotmaske, wirkt er unwiderstehlicher als je. Ja, er ist sowohl drollig als bedeutend, er macht die reizendsten Sprünge wie ein Tänzer, zuweilen aber bekommt er drohende, tiefe und erschreckend flammende Augen, zum Beispiel nun, da er ausspricht:
»So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
mein eigentliches Element.«
An dieser Stelle nickte der Ministerpräsident bedeutungsvoll. Später, bei der Schüler-Szene – in der Hans Miklas übrigens eine auffallend steife und befangene Figur machte
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