Mephisto
Bauch hervor. Sie sprach leise, um ihre ausgeschriene, heisere Stimme zu schonen. Sie gebrauchte schwierige Worte, um dem Schauspieler ihre ›Bildung‹ zu beweisen. »Die Belange unserer nordischen Kultur erfordern den unbedingten Einsatz eines energievollen, rassisch selbstbewußten und zielklaren Individuums«, dozierte die Macht, indem sie ihre süddeutsche Mundart nach Möglichkeit zu unterdrücken und ein feines Hochdeutsch zu sprechen versuchte, das aus ihrem Munde klang wie aus dem eines eifrigen Volksschülers, der auswendig Gelerntes herleiert.
Hendrik war in Schweiß gebadet, als er nach fünfundzwanzig Minuten das Palais verlassen durfte. Er hatte das Gefühl, in miserabler Form gewesen zu sein und sich alles verdorben zu haben. Noch am selben Abend aber erfuhr er durch den Fliegergeneral, daß der Eindruck, den er bei der Macht hinterlassen hatte, gar kein so schlechter war. Vielmehr hatte den Diktator gerade die Schüchternheit des Intendanten angenehm überrascht. Der Führer liebte es nicht und empfand es als unstatthafte Keckheit, wenn jemand versuchte, in seiner Gegenwart unbefangen oder gar brillant zu sein. Angesichts der Macht hatte man ehrfurchtsvoll zu verstummen. Ein strahlender Hendrik hätte beim Messias aller Germanen wahrscheinlich Ärgernis erregt. Über den Verwirrten und Verängstigten gab der Allgewaltige ein mildes Urteil ab. »Ein ganz ein braver Mensch, dieser Herr Höfgen«, sprach die Macht.
Der Ministerpräsident, der für seine Person Titel sammelte, wie andere Menschen Briefmarken oder Schmetterlinge, glaubte, daß auch seine Freunde durch solche Auszeichnungen am meisten zu erfreuen seien. Er machte Höfgen zum ›Staatsrat‹, er beförderte ihn zum ›Senator‹. In allen kulturellen Institutionen des Dritten Reiches hatte der Intendant seinen wichtigen Sitz. Mit Cäsar von Muck und einigen uniformierten Herren gehörte er zum Vorstand des ›Kultur-Senates‹. Der erste ›Kameradschaftsabend‹ dieser Vereinigung fand in Hendrik-Hall statt. Der Propagandaminister war anwesend und grinste über das ganze Gesicht, als Fräulein Josy einen ihrer volkstümlichen Schlager zum besten gab. Kein Geringerer als Cäsar von Muck begleitete die junge Sängerin am Flügel. Die Bewirtung war von betonter Einfachheit. Hendrik hatte seine Mutter Bella gebeten, nur Bier und schlichte Wurstbrote servieren zu lassen. Die uniformierten Herren waren enttäuscht; denn sie hatten viel von dem fabelhaften Luxus gehört, der in der Villa des Intendanten herrschte. Was nutzten ihnen aber die eleganten Lakaien, wenn sie nur Stullen herumreichten, wie es sie auch zu Hause gab? Der ganze Kultursenat wäre in eine gewisse Verdrossenheit verfallen, hätte nicht der Propagandaminister durch seine muntere Art der Stimmung einen erfreulichen Auftrieb gegeben. Nur wußte man leider nicht recht, wovon man reden sollte. Die Kultur war ein Thema, das den meisten der Senatoren gar zu ferne lag. Die Uniformierten waren stolz darauf, daß sie seit ihrer Knabenzeit kein Buch gelesen hatten, und durften sich wohl erlauben, mit diesem Umstand zu renommieren, da ja auch der allgemein hochgeachtete, inzwischen verstorbene und im Beisein des Führers bestattete Herr Generalfeldmarschall und Reichspräsident es getan hatte … Als ein bejahrter Romancier, dessen Bücher wegen ihrer grimmigen Langweiligkeit von niemandem in die Hand genommen, aber offiziell sehr hoch geschätzt wurden, den Vorschlag machte, er wolle ein Kapitel aus seiner Trilogie ›Ein Volk bricht auf‹ vorlesen, kam es zu einer kleinen Panik. Mehrere Uniformierte sprangen auf und legten die Fäuste mit einem mechanischen, aber bedrohlichen Griff um ihre Pistolentaschen, das Grinsen des Propagandaministers verzerrte sich, Benjamin Pelz stöhnte auf, als hätte er einen furchtbaren Stoß vor die Brust bekommen, Frau Bella flüchtete in die Küche, Nicoletta ließ ein schrilles und nervöses Lachen hören – und die Situation wäre katastrophal geworden, hätte Höfgen sie nicht mit seiner singenden Schmeichelstimme gerettet. Es würde ganz herrlich und beglückend sein, ein recht langes und breites Kapitel aus der Trilogie ›Ein Volk bricht auf‹ anhören zu dürfen – versicherte Hendrik, das Gesicht vom aasigen Lächeln verklärt –; aber die Stunde sei doch schon ein wenig vorgeschritten, auch gebe es so viel Dringliches, Aktuelles zu besprechen, die Geister seien für den Genuß großer Dichtung nicht konzentriert genug; er, Höfgen,
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