Mephisto
alt. Er war mit drei Frauen verheiratet gewesen. Er war angefeindet und ausgelacht worden; er hatte den Erfolg, den Ruhm und auch den Reichtum kennengelernt.
Da er schwieg und nur erschüttert keuchte, sprachen auch die andern, die mit ihm am Tisch saßen, kein Wort; Nicoletta, Barbara und Hendrik hatten die Augen niedergeschlagen.
Marder aber änderte jäh die Stimmung. Er schenkte Rotwein ein und wurde charmant. Höfgen, den er eben noch beleidigt hatte, machte er nun Komplimente über sein begabtes Spiel. »Ich weiß es wohl«, sagte er gönnerhaft, »die Rolle ist blendend, mein Dialog unvergleichlich pointiert. Aber die Jammergestalten, die sich heute Schauspieler nennen, bringen es fertig, selbst in meinen Stücken schwunglos langweilig zu sein. Sie, Höfgen, haben immerhin eine Ahnung davon, was Theater ist. Unter den Blinden fallen Sie mir als der Einäugige auf. Prost!« Dabei hob er das Rotweinglas. »Mit unserer Barbara scheinen Sie sich ja nicht übel zu unterhalten«, sagte er launig. Barbara begegnete seinem anzüglichen Lächeln mit ernstem Blick. Hendrik zögerte, ehe er mit Theophil anstieß: die forsche Redeweise des Dramatikers im Zusammenhang mit dem wunderbaren Mädchen Barbara empfand er als unpassend. Es schien, daß Marder, der nicht nur mit seiner Kenntnis von Weinen und Saucen, sondern auch mit seinem untrügbaren Instinkt für den Wert einer Frau dröhnend renommierte, Barbara überhaupt nicht bemerkte. Augen hatte er nur für Nicoletta, die es ihrerseits sorgsam vermied, den zärtlichen und besorgten Blick zu erwidern, den Barbara zuweilen auf sie richtete.
Marder bestellte Champagner zu den Süßigkeiten, die der feine Ober eben servierte. Es war nach Mitternacht; das gediegene Lokal, in dem es keine Gäste mehr gab, außer diesen vier sonderbaren, hätte längst seine Pforten geschlossen; aber Marder gab den Kellnern zu verstehen, sie würden anständige Trinkgelder bekommen, wenn sie ein wenig länger als gewöhnlich ihren Dienst taten. Der große Satiriker, das wachsame Gewissen einer verderbten Zivilisation, zeigte jetzt sein Talent zur harmlosen Gemütlichkeit. Er erzählte Witze, und zwar sowohl solche aus preußisch-militärischer, als auch andere aus östlich-jüdischer Sphäre. Ab und zu schaute er Nicoletta an, um zu konstatieren: »Prachtvolles Mädel! Disziplinierte Person! Heute sehr seltene Sache!« Oder er betrachtete sich Höfgen und rief munter: »Dieser sogenannte Hendrik – eine dolle Type! Kolossal ulkiges Phänomen! Macht mir Spaß. Muß ich mir notieren!«
Hendrik ließ ihn reden, prahlen und strahlen. Er gönnte ihm jeden Triumph. Nicht die mindeste Lust empfand er, mit ihm in Konkurrenz zu treten. Mochte Marder diese kleine Tafelrunde beherrschen: Hendrik lachte fröhlich zu seinen Scherzen. Der Genuß, den Höfgen aus der Situation bezog, war ein zarter und origineller: angesichts von Theophils krasser Wohlgelauntheit fühlte er sich selber still und fein werden – was ihm selten geschah. Als stiller, feiner Mensch mußte er auch dem Mädchen Barbara erscheinen, die für Marders schmetternde Art wahrscheinlich gar nicht viel übrig hatte. Hendrik fühlte, daß Barbaras prüfender Blick mit sympathievoller Neugier auf ihn gerichtet war. Er glaubte zu wissen, daß er dem Mädchen gefiel. Schönste Hoffnungen erfüllten sein bewegtes Herz.
Man trennte sich spät und in bester Stimmung. Hendrik machte seinen Heimweg zu Fuß. Er mußte über Barbara nachdenken. Das Gefühl einer reinen Verliebtheit war völlig neu für ihn, und wurde übrigens angenehm gesteigert durch die Wirkung der starken und erlesenen alkoholischen Getränke. Was ist das Geheimnis dieses Mädchens? sann der Entzückte. Ich glaube, es ist das Geheimnis der vollkommenen Anständigkeit. Sie ist der anständigste Mensch, den ich jemals gesehen habe. Sie ist auch der natürlichste Mensch, den ich jemals gesehen habe. Sie könnte mein guter Engel sein.
Er blieb stehen, mitten auf der Straße, die Dunkelheit war mild und duftete. Es war ja schon beinah Sommer. Er hatte gar nicht gemerkt, daß es einen Frühling gegeben hatte. Und nun war schon beinah Sommer.
Sein Herz erschrak vor einem Glück, von dem es niemals gewußt hatte, auf das es sich durch keine zarte Übung vorbereitet fand.
Barbara wird mein guter Engel sein.
Vor der Zusammenkunft mit Prinzessin Tebab am nächsten Tage hatte Hendrik die größte Angst. Er mußte die Tanzmeisterin bitten, ihre Besuche bei ihm bis auf weiteres
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