Mephisto
einzustellen: zu diesem Entschluß zwang ihn sein neues, großes Gefühl für das Mädchen Barbara. Aber er litt jetzt schon bei dem Gedanken, Juliette nicht mehr sehen zu dürfen, und übrigens bebte er vor dem Ausbruch ihres Zornes. Er gab sich Mühe, ihr die veränderte Situation auf ruhige Art zu erklären; aber seine Stimme zitterte, kein aasiges Lächeln wollte ihm gelingen, vielmehr wurde er abwechselnd bleich und rot, große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Juliette tobte, schrie ihn an, sie lasse sich nicht wegschicken wie die erste beste, und sie werde diesem Fräulein Nicoletta, um derentwillen ihr solches zugemutet ward, beide Augen auskratzen. Hendrik, der darauf gefaßt war, gleich die Peitsche zu sehen, bat sie, sich zu mäßigen, und betonte, daß Fräulein Niebuhr nichts zu tun habe mit der ganzen Angelegenheit.
»Du hast mir gesagt, daß ich das Zentrum deines Lebens bin, und all so'n Quatsch«, keifte Prinzessin Tebab.
Hendrik biß sich die bleichen Lippen und versuchte, Entschuldigungen vorzubringen.
»Gelogen hast du!« schrie die Fürstentochter. »Ich meinte immer, du lügst dich selber an – aber nein, mich hast du angelogen –, man weiß immer noch nicht, wie gemein die Menschen sind!« Ihre grollende Stimme und ihre Miene drückten drastisch echte Empörung und die bitterste Enttäuschung aus. »Aber ich laufe dir nicht nach«, schloß sie stolz. »Ich bin keine solche, die hinter jemandem herläuft. Wenn du jetzt eine andere hast, die dich verhaut, wie ich es gekonnt habe – bitte sehr!«
Hendrik war froh darüber, daß sie ihm nicht nachlaufen würde. Er machte ihr ein Geldgeschenk, das sie murrend akzeptierte. Als sie aber schon auf der Schwelle stand, zeigte sie noch einmal ihr triumphierendes Lächeln. »Glaube nur nicht, daß wir schon fertig sind miteinander«, sagte sie und nickte ihm munter zu. »Wenn du mich wieder mal brauchst – du weißt ja, wo du mich findest!« –
Theophil Marder war abgereist, nachdem es zwischen ihm und Oskar H. Kroge zu einer katastrophalen Auseinandersetzung gekommen war. Der Autor von »Knorke« hatte den Direktor zwingen wollen, ihm auf einem notariell beglaubigten Papier zu versprechen, daß sein Stück mindestens fünfzig Mal aufgeführt werde. Kroge hatte sich natürlich geweigert, worauf Marder zunächst mit dem Staatsanwalt drohte, um schließlich, als dies nicht den gewünschten Eindruck machte, den Leiter des Hamburger Künstlertheaters als eine komplette Null ohne Disziplin und Persönlichkeit, als einen betrügerischen Geschäftemacher, einen ahnungslosen Banausen und einen typischen Repräsentanten dieser stinkenden, todgeweihten Epoche zu beschimpfen. Auf so viel schnarrend vorgebrachte Beleidigungen konnte selbst Kroge, sonst ein verträglicher Mensch, nicht ganz ohne Bitterkeit reagieren. Man zankte sich eine Stunde lang. Dann bestieg Marder in bester Laune den Berliner Expreß.
Hendrik, Nicoletta und Barbara trafen sich jeden Tag. Manchmal geschah es auch, daß Hendrik und Barbara ohne Nicoletta zusammen waren. Man machte Spaziergänge, Bootsfahrten auf der Alster, saß auf Terrassen, besuchte Galerien. Man kam sich näher, man sprach. Barbara erfuhr von Hendrik, was er sie erfahren lassen wollte: pathetisch deklamierte er ihr seine Gesinnung vor, verkündete seine Hoffnung auf die Weltrevolution und die Sendung des Revolutionären Theaters. In dramatisch ausgeschmückter Form ließ er sie die Geschichte seiner Kindheit wissen, schilderte die häuslichen Verhältnisse, seinen Vater Köbes, seine Mutter Bella, seine Schwester Josy.
Von ihrer Kindheit sprach auch Barbara. Hendrik begriff, welche die beiden zentralen Figuren in ihrem Leben bis jetzt gewesen waren: der geliebte Vater und Nicoletta, die Freundin, an der sie mit besorgter Zärtlichkeit hing. Zur Sorge hatte das abenteuerliche und grelle Mädchen ihr schon vielen Anlaß gegeben; die größte Beunruhigung aber kam für Barbara aus Nicolettas neuer Beziehung zu Marder. Barbara verabscheute ihn, Hendrik hatte es gleich geahnt. Ihren flüchtig spöttischen Andeutungen war übrigens zu entnehmen, daß Theophil, ehe er noch Nicoletta kannte, ihr, Barbara, leidenschaftlich den Hof gemacht hatte. Sie aber war in einem verletzenden Grade ablehnend geblieben: daher Theophils Haß auf sie. Um so mehr Glück hatte er nun bei Nicoletta. Sie erklärte jedem, der es hören wollte, mit präzisen Worten, daß Theophil Marder der einzige durchaus vollwertige, wahrhaft ernst zu
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