Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
wirkliche Stille war, wären vermu t lich ein guter Abschluss für den ersten Tag ihres neuen Lebens.
Sie betrat die Küche, die sie am Abend zuvor nicht mehr aufgeräumt hatte, um sich eine Kanne Tee zu kochen. Später würde sie Ordnung machen und aufwischen und auch die Scherben in ihrem Schlafzimmer entsorgen.
Sie wählte die Nummer des Notars.
»Kanzlei Wildhaupt und Neubauer, Sie sprechen mit Frau Bernbach.«
Anscheinend eine neue Sekretärin. Frau Bäumler war möglicherweise schon in Pension gegangen. Susanna nannte ihren Namen und bat um einen Termin am frühen Nachmittag. Es ließe sich einrichten, sagte Frau Bernbach, so gegen 14 Uhr.
Zufrieden legte Susanna auf. Sie ging ins Badezimmer, zog ihr Nach t hemd aus und stellte sich in die Duschkabine. Nachdem sie die Schiebetür hinter sich zugezogen hatte, drehte sie den Warmwasserhahn auf, den für kaltes Wasser nur ein wenig. Sie hörte das Telefon in der Diele klingeln. Für einen kurzen Moment überlegte sie, das Duschen zu unterbrechen, aber sie entschied sich dagegen. Der Anrufbeantworter sorgte schon dafür, dass die Nachricht nicht verlorenging. Sie drehte das Wasser ab, wickelte sich in ein großes Duschhandtuch und trat vor das Waschbecken. In der Schublade war nur noch eine fast leere Tube mit Zahnpasta.
Ich werde einkaufen müssen, nahm sie sich vor. Sie freute sich wie ein Kind über den alltäglichen Gedanken. Wie lange wartete sie schon darauf, dass sich eine verborgene Tür öffnete und es für sie beginnen würde, das Leben?
Im Radiowecker erklangen die Stimmen der Moderatoren, die sich scherzhaft zankten und zwischendurch aktuelle Hits ankündigten. Sie drückte die Reste der Zahnpasta auf die Bürste und legte sie auf den Rand des Waschbeckens.
Mit dem Badehandtuch umwickelt, ging sie in die Küche und schenkte sich eine Tasse von dem frischen Jasmintee ein. Sie trug sie schon ins Wohnzimmer, ging aber dann noch einmal ins Schlafzimmer und begann, sich anzuziehen. Ihr Blick fiel auf den zerbrochenen Spiegel. »Scherben bringen Glück!«, rief sie sich selbst zu.
Das Telefonklingeln vorhin unter der Dusche fiel ihr ein. Sie ging zum Anrufbeantworter. Vielleicht hatte Alexander ihren Anruf von gestern Abend abgehört und hatte sie zurückgerufen.
Sie drückte auf die Abspieltaste. Nach einem kurzen Moment der Stille, den sie abwartete, vernahm sie den zarten Ton, die Stimme des Mannes, seine Botschaft für sie.
Die Handtasche stand noch auf dem Boden neben dem Telefon. Sie wusste, was zu tun war. Ihre suchenden Finger fanden das Taschentuch. Das Taschentuch mit den Tabletten darin. Sie setzte sich auf den Sessel im Wohnzimmer, nahm eine nach der anderen, bis keine mehr übrig war. Zufrieden trank sie einen Schluck aus der Teetasse.
Die Termine in der Praxis hatte Lea auf Ullrichs Drängen deutlich eingeschränkt, und so beschloss sie am nächsten Morgen, trotz des wechselhaften Wetters auf den Markt zu gehen. Das Angebot an Obst und Gemüse, an Blumen, Backwaren, italienischen und türkischen Vorspeisen war überwältigend. Doch Lea hatte auf ihrem Weg an den Marktständen vorbei Mühe, sich auf den Einkauf zu konzentrieren. Sie hatte das Gefühl, als habe sich irgendetwas ereignet, als habe sie Ahnungen irgendwelcher Vorgänge, die sie verwirrten. Es war, als sei ein Film, der die ganze Zeit im Hintergrund gelaufen war, nun zu Ende gegangen. Sie kannte nicht den Titel und auch nicht die Hauptdarsteller, aber er war ihr auf unbestimmte Weise vertraut gewesen. Der anhaltende Wirrwarr in ihrem Kopf zermürbte sie. Sie musste sich vorsehen, nicht depressiv zu werden. Vielleicht kaufte sie sich einfach einen großen Blumenstrauß, überlegte sie, als sie an Tulpensträußen vorbeiging, deren intensive Farben aus den Zinnbehältern herausleuchteten, und sie etwas aufmunterten.
Der feine Nieselregen, der eingesetzt hatte, hüllte den Domplatz in ein graues Gespinst. Sie hatte gerade ihre Trauben bezahlt und die Tragetasche samt Wechselgeld von der Marktfrau entgegengenommen, als sie angesprochen wurde: »Lea, bist du das?«
Lea drehte sich um. Die Person, die sie angesprochen hatte, kam ihr bekannt vor. Etwa in ihrem Alter, kräftige Statur, mit grauen Fäden durchzogene Löckchen und blaue Augen über einer prominenten Nase.
»Ja.« Vorsichtshalber blieb Lea neutral-freundlich, da sie nicht preisgeben wollte, dass sie nicht wusste, wer da vor ihr stand. Immerhin sortierte ihr Erinnerungsvermögen die Frau als Studienbekanntschaft
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