Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
ein. So etwas Dummes. Einen Namen zu vergessen, das war beinahe eine Art persönlicher Beleidigung. Sie versuchte es nochmals. Nichts! Der Name wollte ihr partout nicht einfallen. Ihr blieb nur die Flucht nach vorne.
»Ach, das ist ja eine Überraschung! Was machst du denn hier?«
»Wir wohnen seit zwei Monaten in Mainz«, antwortete die Frau. »Mein Mann wurde versetzt, ins Wirtschaftsministerium nach Wiesbaden, als Referatsleiter. Und, was machst du so? Beruflich, meine ich.«
Obwohl Lea diese Art Fragespiele überhaupt nicht mochte, antwortete sie brav: »Ich habe zusammen mit einem Kollegen eine Praxis hier.« Ihr musste endlich dieser verflixte Namen einfallen.
»Und, arbeitest du viel?«
Es gab anscheinend kein Entrinnen. Wieso nur definierten sich so viele Frauen mit akademischer Ausbildung über ihre Arbeitszeit?
»Ich bin zufrieden, habe drei reizende Kinder, einen Mann und einen Hund. Es war nett, dich getroffen zu haben.« Damit wandte Lea sich um, in der Hoffnung, weiteren Fragen zu entkommen.
»Ja, ein super Zufall. Wär doch schön, wenn wir uns mal treffen könnten, vielleicht auf einen Kaffee?«
Unhöflichkeit müsste für Ausnahmefälle erlaubt sein, dachte Lea, während sie sich umdrehte.
»Dafür habe ich im Moment leider gar keine Zeit, vielleicht ein andres Mal.«
Mit entschlossenen Schritten ging sie in Richtung Fischtorplatz. Die ruhige, nachdenkliche Stimmung, in der sie sich zu Beginn des Marktbesuches befunden hatte, hatte sich verflüchtigt. Vielleicht war sie übersensibel? Aber dieses Aushorchen zerrte an ihren Nerven.
Am Fischtorplatz angekommen, beobachtete sie eine Gruppe Senioren, die einen Ausflugsdampfer verließen. Manche mit Stock, manche mit Rollator, manche im Rollstuhl, aber meist im Gespräch mit ihrem Nachbarn. Ob es in diesem Alter weiterging mit diesem Wer bist du? Was machst du? Was hast du? Wie weit bist du gekommen? Lea hatte die zaghafte Hoffnung, die einsetzende Altersweisheit möge dies verhindern. Allerdings, wie lautete Ullrichs Spruch der letzten Woche? Etiam sapientibus cupido gloriae novissima exuntur – Auch Weise legen den heftigen Wunsch, anerkannt zu werden, erst als Letztes ab . Hoffentlich hatten die antiken Denker einmal nicht recht.
Der Regen hatte aufgehört, und Lea blieb an den Stufen, die zum Rhein hinunterführten, stehen. Die Schwäne schwammen zwischen den festgetäuten Dampfern herum. Da fiel ihr der Name ein, nach dem sie auf dem Markt vergebens gesucht hatte: Claudia Seidler.
Neben Lea hopste ein kleiner Hund wie ein lebendiges Plüschtier die Stufen hinunter auf die Schwäne zu. Seine Spielfreude traf jedoch auf wenig Gegenliebe, und durch wütende Zischlaute zeigten die Schwäne deutlich, wie wenig sie von seinen Annäherungsversuchen hielten. Doch so einfach ließ er sich nicht abweisen, wieder und wieder versuchte er die Wasservögel zum Spiel zu animieren. Amüsiert betrachtete Lea seine Anstrengungen. Es hatte etwas Tröstliches, dass es die Unbelehrbaren, die hartnäckig an ein freundliches Miteinander glaubten, auch im Tierreich gab. Deutlich positiver gestimmt ging sie am Gutenbergmuseum vorbei in Richtung Parkhaus. Den Rest der Lebensmittel würde sie heute im Supermarkt besorgen, sie wollte nicht noch einmal auf den Markt.
Als Lea mit Einkaufstüten bepackt die Haustür aufschloss, war da nur Lilly, die schlafend in ihrem Korb lag. Wie üblich gähnte sie erst und bemühte sich dann, ein Willkommensgeschenk für Lea zu suchen. Heute musste ein Strumpf von Sören herhalten, der auf dem Weg in den Wäschekeller verloren gegangen war. »Danke, Lilly, brav.« Beim Blick auf den versabberten Liebesbeweis überlegte Lea zum hundertsten Mal, ob in der Hund-Mensch-Beziehung vielleicht irgendetwas anders war, als es sein sollte.
Die Einkaufstüten waren randvoll; Lea war eine halbe Stunde lang damit beschäftigt, die Esswaren, Putzmittel und Drogerieartikel wegzuräumen. Sie brachte gerade die Getränkekisten in den Keller, als sie das Telefon hörte. Sie beeilte sich, nach oben zu kommen, aber in Sörens Arbeitszimmer war das schnurlose Telefon nicht in seinem Halter. Wer mochte es wohl nach den überaus wichtigen Telefonaten mit Freundinnen über Schulklatsch, neue Frisuren, Jungs oder das Kinoprogramm in seinem Zimmer vergraben haben? Lea flitzte die Treppe ins Obergeschoss hoch. Allerdings war die Verbindung schon abgebrochen, als sie auf den grünen Knopf für Empfang drückte.
Zurück im Keller, beim Stapeln der
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