Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
die Zeiger immer zu unpassender Zeit schneller vorwärts, als wollten sie den Gegenbeweis zu einer gleichförmig linearen Zeitfolge antreten.
»Genau, ich habe mit Frau Kurz über diese Äußerungen gesprochen, aber es bleibt unklar, welche Bedeutung die Begriffe in diesem Fall haben.«
»Ich weiß, Frau Kurz hat mir von Ihrem Treffen berichtet, ich bin auch der Meinung, dass eine Verbindung zu einer Sekte nicht ausgeschlossen werden kann, aber …«
Lea unterbrach nun auch Franz Bender. »Entschuldigen Sie bitte, Herr Kommissar, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich muss dringend zum Hauptbahnhof, meine jüngste Tochter kommt um 17 Uhr von ihrer ersten Klassenfahrt zurück.« Lea überlegte kurz. »Ich habe die Akte ohnehin bei mir zu Hause. Ich rufe Sie an, wenn mir zu diesen Stichworten noch etwas einfallen sollte.«
»Kein Problem, vielen Dank. Ich weiß Ihr Engagement zu schätzen«, entgegnete Bender verständnisvoll, und nachdem sie sich verabschiedet hatten, legte Lea auf.
Sie griff eilig nach Jacke und Tasche, hob die Hand im Vorbeigehen zum Gruß an Frau Witt und eilte zu ihrem Passat. Sie hoffte, unterwegs nicht von zu vielen roten Ampeln aufgehalten zu werden. Meist hatten die Züge gerade dann keine Verspätung, wenn man diese dringend benötigte. Lea fuhr über die Rheinallee und die Holzhofstraße in Richtung Uniklinik, um anschließend über die Langenbeckstraße direkt das Parkhaus oberhalb des Hauptbahnhofes anzusteuern. Die Ampel vor dem Parkhaus war rot.
Sechstes Kapitel
Susanna blickte aus dem Zugfenster. Die Zeit am See war anregend gewesen. Die flüchtige Begegnung mit dem Herrn im Club hatte ihr eine Verschnaufpause verschafft von der qualvollen Beschäftigung mit ihrem Leben. Er hatte sie nach einer Konzertveranstaltung angesprochen, so wie sie immer angesprochen wurde.
Du machst die Typen immer an, sprach sie innerlich mit sich selbst, du hast dieses typisch weibliche Verhalten und diesen Hier-bin-ich-hab-mich-lieb-kümmere-dich-um-mich-Komplex. Wie hieß dieses Verhalten noch? Sie dachte nach, obwohl es ihr nicht wirklich wichtig war. Richtig, der Cinderella-Komplex!
Dieser phantasievoll bezeichnete Komplex war vor Jahren aufgetaucht, gemeinsam mit vielen anderen. Sie hatte sich damals ihrer Anziehungskraft geschämt und versucht, abweisend zu sein, kühl zu sein. Aber die Männer, denen sie begegnet war, hatten gespürt, dass sie unter ihrer Oberfläche etwas verbarg, eine subtile Sinnlichkeit, gepaart mit einer Unberührbarkeit, die auch nach vielen Erfahrungen nicht verging. Die Männer ahnten hinter der Fassade die verborgene Fähigkeit zur Liebe. Doch es war zu spät. Die Unberührbarkeit war zu einem Teil ihrer Persönlichkeit geworden. Nur, und das stellte sie in Zeiten des Rückzugs und der Nachdenklichkeit fest, es machte sie einsam.
»Sag mir, dass du mich liebst«, hatte sie oft nach einer Nacht von dem Mann gefordert, neben dem sie erwacht war. Sie hatte das Bedürfnis, die Worte zu hören, ihren Klang im Gedächtnis zu behalten. Nähe war ihr selbst bei innigster Umarmung etwas Fremdes geblieben. Küsse und Zär t lichkeiten linderten dieses Gefühl. Er war nett gewesen, sensibel, sympa t hisch und gebildet, und er hatte diese angenehm warmen weichen Hände gehabt. Er hatte unter dem Ende ihrer kurzen Affäre – kaum waren die beiden Treffen eine Affäre zu nennen – mehr gelitten als sie. Ihr hatte es nichts ausgemacht, auch dieser Abschied nicht. Ein kurzes Wiedererkennen jenes Gefühls, wie sie es so oft schon erlebt hatte, und weiter nichts.
»Sehen wir uns wieder?«, hatte er sie gefragt und sie am Unterarm gefasst, so als wolle er die Intensität seiner Bitte durch die Berührung unterstreichen. Sie hatte freundlich, aber mit sparsamer Bewegung seine Hand genommen und sich frei gemacht.
»Ich rufe dich an.«
»Ich warte darauf«, hatte er auf Französisch geantwortet.
Sie musste zurück in ihre Wohnung, die kein Zuhause war, aber ein Ort, sich zu sammeln und Kraft zu schöpfen. Dort war ihre persönliche Kunstsammlung, gleichsam Familienersatz.
Die andere Begegnung in dieser kurzen Auszeit war vielversprechend gewesen. Sie sann darüber nach, ob sie den Versprechungen Glauben schenken durfte. All die früheren Versprechungen, die sie letz t lich bedürftig zurückgelassen hatten, reichten für mehrere Leben. Vielleicht war es diesmal etwas anderes. Diese ungewöhnliche Frau, die den Vortrag gehalten hatte, sprach von einem langen, schwierigen
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