Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Weg. Das klang erns t haft, ohne Wichtigtuerei.
Sie würde sich bei dieser Frau melden.
Als Lea ihr Auto im Parkhaus abschloss, sagte ihr ein kurzer Blick auf die Uhr, dass es knapp wurde. 17 Uhr 4! Sie beschloss zu spurten. Außer Atem und leicht verschwitzt stand sie wirklich kurze Zeit später zwischen anderen Eltern, meist Müttern, die ihre Sprösslinge mehr oder weniger sehnsuchtsvoll erwarteten.
»Die letzte Klassenarbeit war aber nicht gut vorbereitet«, unterhielten sich zwei Mütter gerade über den Lehrplan und dessen korrekte Umsetzung. »Man sollte den übenden Anteil im Unterricht verstärken.«
»Das sehe ich auch so«, kam es von einer dritten Mutter, die missbilligend bei dem Gedanken an nachlässige Lehrpersonen die Stirn in Falten legte.
Lea hielt sich zurück. Elternsolidarität war oberstes Gebot, denn sonst konnte man sich schnell ins Abseits katapultieren. Früher hätte Lea schon aus Prinzip ihre Meinung sofort öffentlich gemacht, doch mit zunehmendem Alter ertappte sie sich dabei, wie sie die Anzahl der Konfliktschauplätze begrenzte. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob dies auf eine früh einsetzende Altersweisheit zurückzuführen war oder auf allgemeine Ermüdung.
»Der Intercity 763, geplante Ankunftszeit 17 Uhr 3, hat voraussichtlich fünf Minuten Verspätung«, dröhnte eine Stimme und verteilte die Information mit Hilfe der Lautsprecher über die Bahnsteige.
Der Zugbegleiter hatte ihr Ticket entwertet. Susanna fuhr in der ersten Klasse. Das Abteil war fast leer, draußen flog die Landschaft vorbei, kleine Ortschaften, vereinzelte Bauernhöfe mit Feldern und Weidezäunen. Die Gleise führten am Bodensee en t lang, und Susanna entdeckte Schwäne am Ufer, ein Spaziergängeridyll. Sie liebte Spaziergänge, wirkliche Spaziergänge, die Ruhe brachten, bei denen man die Natur in sich aufnehmen konnte.
Sie wusste die Visitenkarte von Jemina Faradiz in ihrer Handtasche, die Adresse des Frauenzentrums in Frankfurt-Bornheim. In der Stadt kannte sie sich aus, auch das Frauenzentrum kannte sie. Sie hatte ein gutes Gefühl. Nicht wie nach früheren Trips in ihre Innenwelt, bei denen sie in altem Unrat wühlte und später erschöpft und tränenreich Geschehnisse besprach, an die sie eigen t lich nicht mehr denken wollte. Nein, bei diesem Versuch, ihr Leben vielleicht doch noch in den Griff zu bekommen, spürte sie eine neue Qualität. Sie suchte nach dem passenden Begriff … Eine Verheißung?
Erwartungsvoll blickte Lea auf die Gleise, die sich in der Ferne zu berühren schienen. Endlich sah man den einlaufenden Zug, der mit quietschenden Metallrädern kurze Zeit später zum Stehen kam. Die Türen öffneten sich mit einem Zischlaut, und eine hüpfende Masse Zehnjähriger strömte heraus. Lea hielt nach Frederike Ausschau.
»Mama, Mama«, erkannte sie dann aus dem vielfältigen Stimmengewirr ihre Tochter, und dann schlangen sich auch schon zwei Arme um ihren Hals. Lea blickte in Frederikes Gesicht, das weder besonders sauber noch besonders ausgeschlafen aussah.
»Und, war es schön, was habt ihr alles unternommen?«
Die Erzählungen über eine aufregende Nachtwanderung mit Taschenlampen, den verstauchten Knöchel einer Mitschülerin bis zur verlorenen Armbanduhr der Lehrerin dauerte fast die ganze Autofahrt. Dann wurde es plötzlich still auf der Rückbank. Im Rückspiegel sah Lea Frederike ausgiebig gähnen und wusste, dass es an diesem Abend kein Problem mit der Schlafenszeit geben würde.
Das Gartentor stand offen, als sie mit der kleinen Reisetasche und dem Rucksack zu Hause ankamen. Frederike lief über den Gartenweg voraus und klingelte Sturm, obwohl sie wusste, dass es jeder in der Familie hasste. Aber sie war glücklich, wieder zu Hause zu sein. Als Marie die Tür öffnete und die kleine Schwester sah, fiel ihre Ermahnung vergleichsweise milde aus. »Mensch, Freddy, das muss doch nicht sein!« Frederikes heimkehrinnige Umarmung nahm ihr vollends den Wind aus den Segeln.
»Na, du Küken, war es toll?«
»Ja, schon, aber jetzt bin ich total fertig, und ich hab Hunger.«
Nachdem Frederike eine übergroße Portion Spaghetti vertilgt hatte, rollte sie sich auf der Couch im Wohnzimmer wie ein junger Hund zusammen und schlief innerhalb weniger Sekunden ein.
»Kommst du mit, auf eine Runde mit Lilly?«, wandte sich Lea an Marie.
»Okay«, kam es nach kurzem Zögern.
Erfreulicherweise liebte Marie diese Spaziergänge genauso wie Lea. Der notwendige Gang mit dem Hund war
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