Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
immer ein guter Grund, um frische Luft zu schnappen.
Kurz darauf war Lea mit Marie und Lilly am Rhein unterwegs. Die Sonne rollte als orangefarbener Ball über den Kamm des Taunus. Die Lastkähne schoben sich durch den Rhein, der frische Wind ließ Blätter Pirouetten drehen, und am Ufer trugen Ruderer ihre Boote über die steilen Ufertreppen nach oben zum Bootshaus. Eine Weile gingen sie stumm nebeneinander her. Marie spielte mit Lilly Stöckchen apportieren.
»Geht es dir gut?« Lea unterbrach den stillen Spaziergang.
»Klar, wieso nicht?«
»Deine Lehrerin hat mich angerufen, Frau Wiessner, sie meinte, du würdest dich in letzter Zeit zurückziehen, und seist in der Schule meistens alleine.«
»Ja und!« Marie blickte beharrlich auf den Fußweg.
Lea wartete. Sie wusste, dass dies die Strategie war, die am ehesten Erfolg versprach. Sie blickte an das andere Ufer des Rheins, an dem ein großes Segelboot dauerhaft vertäut war. Es war zu einem Restaurant umfunktioniert worden und bereicherte den Fluss mit einem Symbol für die Weite des Ozeans. Für Fernwehanfällige, zu denen Lea sporadisch zählte, war es der richtige Anblick, um in Träumereien zu verfallen.
»Im Moment ist alles irgendwie doof!«, brach es aus Marie heraus. »Meine Freundinnen sind total schräg drauf, und alle machen sich gegenseitig fertig. Was glaubst du, was das nervt!«
In Leas Jackentasche meldete sich das Handy.
»War ja klar, oder«, kommentierte Marie die Unterbrechung und marschierte demonstrativ weiter, als Lea das Handy aus ihrer Jackentasche fischte und stehen blieb.
»Johannsen. Hallo!«
Der Empfang war mittelmäßig. Aber die Lautstärke der Worte am anderen Ende machte das mehr als wett: »Sag mal, spinnst du, mir die Bullen auf den Hals zu hetzen? Die sind vorhin hier in unser Frauenzentrum spaziert und haben mich wegen Susanna ausgequetscht.« Die aufgebrachte Stimme gehörte zu Cleo Hollmann.
»Cleo? Was soll das, du brauchst nicht zu brüllen, ich kann dich verstehen«, erwiderte Lea und hielt das Handy ein Stück vom Ohr weg.
»Klar brauche ich nicht«, fuhr Cleo wütend fort. »Ich habe schon länger nichts mehr von Susanna gehört, und jetzt wollten dieser stumpfsinnige Kommissar und diese Möchtegernassistentin ihre komplette Lebensgeschichte hören.«
»Das ist doch nachvollziehbar«, entgegnete Lea und bemühte sich, von Cleos Lautstärke unbeeindruckt zu bleiben.
»Wieso das denn?«
»Was für eine Frage, Cleo! Ist dir klar, dass Susanna van der Neer sich das Leben genommen hat? Hast du das wirklich begriffen?«
»Ich bin doch nicht bescheuert. Du brauchst mit mir nicht so zu reden wie mit deinen irren Patienten.« Cleos Stimme wurde schrill und das Bild der Urmutter verblasste zusehends. »Und überhaupt: Susanna hat sich doch wie eine Prinzessin aufgeführt. Da wundert’s mich nicht, dass sie sich umgebracht hat, weil die Traumprinzen nicht Schlange standen. Blöd genug!«
Jetzt reichte es Lea. Das verpatzte Gespräch mit Marie, die mitleidslos keifende Cleo …
»Cleo, bitte! Überschlag dich bloß nicht vor Mitgefühl! Und dieses Märchen von der Prinzessin habt ihr Susanna doch bestimmt als Erstes ausgetrieben, oder? Sonst müsste ich mich doch sehr in eurer Zielstrebigkeit getäuscht haben.«
»Was soll der Scheiß? Lea, ich glaub’s nicht, was du für einen Mist laberst!« Cleo keifte weiter. »Ich will dir mal was über Susanna sagen. Die hat ihre Geschichten mit den Typen nicht verkraftet. Die wollte immer diese ganze verplüschte Vorstadtidylle mit trautem Heim, Glück allein, und diesen ganzen bürgerlichen Mist. Und wir wollten ihr helfen, aus diesem Mief rauszukommen.«
Die Hilfe konnte sich Lea lebhaft vorstellen.
Cleo war noch nicht fertig: »Susanna fing immer wieder von ihrem verpfuschten Leben an und von ihren doofen Gewissensbissen.«
Lea blieb stehen. Marie war inzwischen schon weit vorausgelaufen, aber Cleo war nicht zu unterbrechen.
»Susanna ist im letzten Sommer im Frauenzentrum aufgetaucht und hat uns eine handfeste Szene gemacht, wir wären schuld an ihrem verkorksten Leben und all so was. Die war komplett durchgeknallt. Maren und Regina haben sie dann vor die Tür gesetzt. So was brauchen wir uns nicht anzutun.«
»Ich weiß, dass ihr sehr verständnisvoll und kritikfähig seid.« Lea konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.
»Du brauchst gar nicht so abgeklärt zu tun! Früher konntest du dich mit unseren Zielen identifizieren. Die Idee der Selbstbestimmung war
Weitere Kostenlose Bücher