Merani und die Schlange unter dem Meer
würde ich mit euch gehen! Doch das wird die Königin nicht zulassen.«
»Das ist lieb von dir«, sagte Merani erleichtert.
Da der Prinz so wie vorhin am Hafen mit den Füßen scharrte, verabschiedete Meranda sich und verließ eilig das Zimmer.
Merani sah ihnen mit zwiespältigen Gefühlen nach. Ihre Tante mochte eine gute Heilerin und Hexe sein, dennoch waren ihre Fähigkeiten zu gering, um der Königin in dieser Zeit einen wirksamen Halt zu bieten. Daher erschien es ihr umso wichtiger, dass sie selbst Erfolg hatte.
5
Als Merani am nächsten Tag an der Spitze eines großen Gefolges aufbrach, stellte sie fest, wie hart die Nachrichten aus Gurrland eingeschlagen hatten. Die königlichen Wachen trugen keine Prunkhellebarden wie bei ihrer Ankunft, sondern Speere mit stählernen Spitzen, und auf den Straßen eilten Frauen in knapp sitzenden ledernen Westen und wadenlangen Röcken in einem nicht enden wollenden Strom zum oberen Tor. Da jede von ihnen einen Langbogen und einen gefüllten Pfeilköcher bei sich trug, waren sie auf dem Weg zur Schießstätte, um dort zu üben.
Das verriet Merani, wie ernst die Königin die Situation nahm. Die Bogenschützinnen von Wardania und Ilyndhir waren die Besten im ganzen Archipel, und sie übten regelmäßig ihre Kunst. Doch auch so mancher Mann schleppte seinen zu eng gewordenen Harnisch zum Schmied, um ihn neu anpassen zu lassen, und überall wurden Schwerter und Dolche geschliffen.
»Was machen denn die? Das sind doch keine Soldaten!«, platzte Qulka heraus.
»Es sind die Frauen und Männer der Stadtmiliz, die im Falle eines Krieges die Garde der Königin und die Garnisonstruppen verstärken. Ich schätze, in ein paar Tagen wird es auf ganz Ilyndhir und den anderen Inseln des Königreiches so aussehen.«
Merani kannte die Ilyndhirer von früheren Besuchen her und hatte sie noch nie so entschlossen erlebt. Zunächst empfand sie das martialische Gehabe der Leute als lächerlich. Dann aber verstand sie, was diese Menschen bewegte. Keiner von ihnen wollte noch einmal unter die Herrschaft gnadenloser Magier geraten. Auch fürchteten sie sich vor den Fremden. Ihre Ahnen hatten sich vor mehr als tausend Jahren gegen ihren damaligen Herrn Wassuram erhoben und diesen gestürzt. Nun argwöhnten sie, manwürde sie als deren Nachkommen für die damalige Rebellion bestrafen.
»Ob sich auch die Runi auf den Krieg vorbereiten?«, wollte Argeela wissen.
Merani zuckte mit den Achseln, doch Careedhal nickte heftig. »Sie werden es tun! Schwarze Magier sind ihre schlimmsten Feinde, und für die Runi geht es auch diesmal ums Überleben. Wäre Wassuram damals nicht besiegt worden, hätte er sie vernichtet.«
»Im Gegensatz zu jenen Zeiten sind wir vorgewarnt und werden diesen Kerlen zeigen, wer wir sind!« Merani drohte kurz mit der Faust in die Richtung, in der sie die Feinde vermutete, und drängte die anderen, schneller zu gehen.
Sie stiegen vom Palasthügel zum Hauptmarkt hinab und erreichten schließlich die Brücke, die zum Fischersechstel hinüberführte. Von dort aus war es noch ein strammer Fußmarsch bis zum Hexenwald. Als sie am »Blauen Fisch« vorbeikamen, verspürte Merani trotz ihrer Ungeduld den Wunsch, kurz einzukehren. Früher war das Gasthaus für sie ein heimeliger Ort gewesen, erfüllt von Geschichten und Abenteuern. Aber da weder ihre Großmutter, ihre Urgroßmutter noch ihre Tante dort waren, würde sie zu so früher Stunde wahrscheinlich nur die Köchin oder die Schankmaid vorfinden.
Aus diesem Grund zögerte sie, als sie vor der Tür stand. Dann aber streckte sie die Hand nach der Klinke aus und trat ein. Innen war eine dralle Frau damit beschäftigt, den Boden zu wischen. »Entschuldigen Sie, aber solange der Fischmarkt noch nicht zu Ende ist, dürfen wir kein Bier ausschenken«, sagte sie, ohne aufzusehen.
»Ich will kein Bier, Tasah, sondern nur mal vorbeischauen«, antwortete Merani.
Die Frau fuhr hoch. »Merani! Verzeihung, ich meine Kaiserliche Hoheit, ich …«
»Merani reicht vollkommen!« Merani schloss die Frau in dieArme und wunderte sich, weil diese ihr auf einmal so klein vorkam.
In Tasahs Augen glitzerten Tränen, und sie klammerte sich ungeachtet aller Rangunterschiede an Merani fest. »Ich bin so froh, dich wieder zu sehen, Merani. Gestern war ich schon am Hafen, um dich und deine Freunde aus der Ferne zu grüßen.«
»Warum bist du nicht auf uns zugekommen?«
»Da war doch der Prinz und all die anderen! Außerdem hätten die Soldaten
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