Merani und die Schlange unter dem Meer
nervös. »Ich bin erfreut, Eure Kaiserliche Hoheit als Gast hier in Ilynrah begrüßen zu dürfen.«
Seine Stimme klang näselnd, so als müsse er sich auch durch die Aussprache von den anderen Menschen unterscheiden. Dabei war er sogar für einen Ilyndhirer eher klein, und während andere Männer um die fünfzig zumeist wohlbeleibt waren, sah er mager aus. Um seiner wenig beeindruckenden Gestalt die nötige Wichtigkeit zu verleihen, trug er zu hellblauen Kniehosen einen tiefblauen Rock mit roten Stickereien. Auf der breiten Schärpe, die sich über seine Brust zog, steckten mehrere handtellergroße Orden, die seine Mutter, die Königin, ihm verliehen hatte. Am auffälligsten war jedoch sein Hut, der nicht die elegante dreispitzige Form aufwies, die derzeit in Mode war, sondern eine runde Krempe besaß und nach oben hin spitz zulief. Sechs riesige Federn waren mit einer Agraffe aus Rotgold am Hutband befestigt und wiesen auf seine königliche Abkunft hin.
Merani empfand diese Kopfbedeckung als anmaßend, denn siebesaß die Form eines Magierhutes, den auch der ilyndhirische Hofmagier Torrix als Standesabzeichen trug. Anscheinend wollte Wardil zeigen, dass er sich ebenfalls als Nachkomme der sagenumwobenen Kriegerhexe Meravane fühlte. Dabei sollte die königliche Familie den Überlieferungen zufolge von Ilna und Ward, den Unteranführern der Hexe, abstammen.
Da Merani in Gedanken versunken zu sein schien, scharrte Prinz Wardil mit dem rechten Fuß, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dann fiel ihm ein, dass sie vielleicht eine Verbeugung erwartete, und neigte rasch sein Haupt.
Um Meranis Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln. »Ich überbringe Eurer erhabenen Mutter und Eurer Hoheit die Grüße meiner Eltern, des Magierkaiserpaares von Gurrland.«
»Wir danken Euch, Kaiserliche Hoheit. Wollen wir uns bitte zum Palast begeben? Die Gästesuite steht für Euch und die Fürstlichen Hoheiten von Ardhu bereit.« Der Prinz wies auf mehrere Sänften, die ein Stück entfernt standen.
»Eigentlich wollte ich bei meiner Tante wohnen«, antwortete Merani etwas unwirsch. Der Palast lag fast am anderen Ende der Stadt und damit fast doppelt so weit vom Hexenwald entfernt wie das Fischersechstel.
»Meine Mutter und ich wissen um die enge Verbundenheit Eurer Kaiserlichen Hoheit zum ›Blauen Fisch‹, doch bitten wir Euch, wenigstens drei Nächte im Palast zu bleiben. Es wäre sonst zu unbequem für Eure Kaiserliche Hoheit, zu den Feierlichkeiten in den Palast zu kommen.« Der Prinz schien bei diesen Worten beinahe im Boden zu versinken, denn immerhin stand ihm das größte magische Talent im ganzen Archipel gegenüber, und er wusste aus Erfahrung, dass Hexen und Magier auf Widerspruch oft harsch reagierten.
Merani schluckte ihre Enttäuschung jedoch mit freundlicher Miene hinunter. »Gut! Wir werden diese drei Tage im Palast bleiben. Danach aber müssen wir zu meiner Tante umziehen.«
Der Prinz nickte und bot ihr den Arm. »Darf ich Eure Kaiserliche Hoheit zur Sänfte führen?«
Merani legte ihre rechte Hand mit einer gezierten Geste auf seinen linken Ärmel. Auf dem Weg zur Sänfte hielt sie nach ihrer Tante Ausschau, doch Meranda war nirgends zu sehen. Enttäuscht wandte Merani sich an den Prinzen. »Weshalb ist meine Tante nicht erschienen, um mich zu begrüßen?«
»Die zweite Hexe hält sich als Vertreterin des abwesenden Hofmagiers Torrix selbstverständlich an der Seite meiner erhabenen Mutter auf, so wie es das Protokoll gebietet.«
Merani wünschte das Protokoll zum Meandhir, wusste aber, dass sie dagegen nicht ankommen konnte. Daher ergab sie sich in ihr Schicksal.
4
Der Empfang im Palast war nicht weniger formell als der am Hafen. Königin Ilna V. saß in ihrer Staatsrobe mit Schärpe und Orden auf ihrem Thron, und neben ihr stand Meranis Tante Meranda, ausgestattet mit den Insignien einer hochrangigen Hexe und dem Symbol, das sie als Leibheilerin der Königin auswies. Im Hintergrund hatten sich die Höflinge und Edeldamen aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Die meisten von ihnen waren in ilyndhirisches und wardanisches Blau gekleidet, doch dazwischen gab es einige Terener, die blendendes Weiß trugen und sich teilweise sogar die Haare weiß gefärbt hatten.
Merani war ihre Gegenfarbe nie sympathisch gewesen, aber seit ihrer Vision von dem großen Sturm hatte sich ihre Abneigung noch verstärkt. Daher kostete es sie einiges an Überwindung, in die Richtung der Terener zu lächeln, und
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