Merani und die Schlange unter dem Meer
einmal untersuchen wollte, traf er auf ein starkes, ungewohnt schillerndes Violett.
»Weißt du, ob eure Leute einmal einen Großangriff auf diese Gegend hier durchgeführt haben?«, fragte er Tirah.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Wir kennen die Gegend gar nicht, denn so weit wagen sich die Kapitäne der erhabenen Lin’Velura nicht aufs Meer hinaus. Vielleicht erkunden wir die See, wenn der Waffenstillstand endlich geschlossen wurde, von dem alle sprechen.«
»Fahr nach Norden!«, wies Tharon sie an, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. Das, was er eben entdeckte hatte, fand sich nun an einer anderen Stelle, und so wirkte seine Miene noch besorgter. »Mögen Giringar und Linirias geben, dass ich mich irre!«
»Warum? Was ist?«, wollte Tirah wissen.
»Ich spüre eine ungewöhnlich starke magische Verwerfung, die sich sehr schnell bewegt, und zwar gegen den Sturm. Wir sollten ihr nicht zu nahe kommen. Aber ich muss Gewissheit haben, ob sie das ist, was ich vermute!«
»Du sprichst in Rätseln, großer Magier.«
»Ich passe mich nur euch Violetten an!« Tharon stieß einen kurzen Laut aus, der ein Lachen sein sollte. Dann aber entschloss er sich, die junge Amazone aufzuklären. »Wie es sich anfühlt, handelt es sich um eine monströse Geisterballung, und das ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.«
»Was ist eine Geisterballung?«
»Ein nicht immer freiwilliger Zusammenschluss von Seelen, denen der Weg zu den Seelendomen ihrer Götter versperrt war. Während des Großen Krieges sind einige dieser Ballungen entstanden. Es geschieht zumeist, wenn ein größeres Heer durch eine gewaltige Waffe der Gegenfarbe vernichtet wird. Die Feindfarbehaftet an ihnen und macht sie wahnsinnig, so dass sie den Weg zu ihren Seelendomen nicht finden können. Daher wandern sie mit den magischen Winden über das Land. Unterwegs ziehen sie weitere Seelen an sich und werden immer größer und mächtiger. Manchmal entwickeln sie sogar ein gemeinsames Bewusstsein und können Dinge auf magischem Weg beeinflussen. Aber sie handeln nicht planvoll, sondern sind voller Hass und greifen selbst Wesen der eigenen Farbe an.«
Tharon konzentrierte sich wieder auf die magische Erscheinung. »Diese Ballung vor uns ist die Hässlichste, die ich je gesehen habe. In ihr befinden sich ganze Ströme einander feindlicher Farben, und daher rasen die Seelen vor Schmerz. Um mit dem Ding fertig zu werden, benötigen wir ein Artefakt von der Stärke des Feuerthrons. Dreh jetzt ab! Ich will die Geister nicht unnötig reizen, denn sie dürften stark genug zu sein, selbst ›Giringars Hammer‹ zerstören zu können.«
In dem Augenblick schoss die Geisterballung knapp über sie hinweg und schnitt ihnen den Rückweg zur offenen See ab. Das Ding griff jedoch nicht an, sondern glitt langsam an sie heran, so als wolle es sie in Augenschein nehmen. Tirah schüttelte sich unter der bösartigen Ausstrahlung, die sie nun ebenfalls wahrnahm. Rasch wendete sie das Boot und steuerte es tiefer in das Schärengewirr hinein. Dabei waren ihre Sinne bis zum Äußersten angespannt, denn zwischen all den Inselchen und Riffen war es kaum noch möglich, magischen Turbulenzen rechtzeitig auszuweichen.
»Vorsicht!«, schrie sie mit einem Mal auf und zwang das Boot in eine scharfe Kurve. Für ein, zwei Augenblicke starrte Tharon auf die scharfen Zacken einer lang gestreckten Klippe vor sich und befürchtete schon, ihr Fahrzeug würde dagegenkrachen. Da schwang das Boot unter Tirahs Befehl herum und raste knapp an dem sturmumtosten Felsen vorbei, während die See hinter ihnen regelrecht explodierte und eine Wassersäule hoch in den Himmel raste.
»Das war eine Gegenfarbenexplosion von Blau und Grün«,kommentierte das Mädchen gelassen. »Ich hoffe, wir geraten nicht in eine schwarz-weiße oder violett-gelbe Explosion hinein. Dann könnte es haarig werden!«
»Das mögen Giringar und Linirias verhüten!« Noch während Tharon sich erneut auf seine Umgebung konzentrierte, stieß Tirah einen weiteren Warnruf aus.
»Vor uns ist eine starke Ballung weißer Magie, der ich nicht zu nahe kommen möchte!« Sie befahl dem Boot, scharf nach links zu fahren. Doch es tat sich nichts. Besorgt griff sie nach dem Steuerrad, doch obwohl sie verbissen daran drehte, fuhr das Boot schnurgeradeaus weiter.
»Großer Magier, ich fürchte, wir haben ein Problem!«, erklärte sie mit unnatürlich ruhiger Stimme.
»Was?« Tharon drehte sich zu ihr um, starrte auf die Steuereinrichtung
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