Mercy, Band 2: Erweckt
grellen Lichtern des Theaters weiter unten.
Plötzlich fixiert Ranald einen Punkt irgendwo in der Mitte der Straße und ich folge seinem Blick. Ryan steht dort auf dem Gehsteig, vor der Bar mit dem schwarzen Stier auf dem Schild, und spricht mit einer Passantin. Lelas Mund lächelt unwillkürlich mit, als Ryan den Kopf zurückwirft und über etwas lacht, was die Frau gerade gesagt hat, bevor sie ihm kurz zuwinkt und weitergeht.
Und dieses Prachtstück gehört mir allein, denke ich gierig, während Ryan noch eine Weile hin und her geht und dann in der Tapasbar verschwindet.
Doch dann schleicht sich Wehmut in meine Gedanken, weil Ryan und ich keine Zukunft haben, in keinem Universum zusammen sein können. Wir sind nicht dazu geschaffen. Nicht füreinander bestimmt. Gefühle sind menschlich, vom Rest ganz zu schweigen.
Als ich endlich meinen Blick von der Stelle losreiße, an der Ryan gerade noch gestanden hat, und mich wieder dem schäbigen Essbereich zuwende, geht Ranald zielstrebig zur Eingangstür, schließt ab und dreht das Schild auf „Geschlossen“ um.
„Was macht er da?“, frage ich Cecilia und nicke mit dem Kopf zu Ranald hinüber.
Cecilia schaut mich an und stellt die Kaffeekanne weg, die sie in der Hand hält.
Ranald dreht sich um und sagt zu uns allen hier: „Da staunt ihr, was? Jetzt könnt ihr mich nicht mehr einfach ignorieren. Jetzt müsst ihr mich endlich mal ansehe n – richtig ansehen.“
Franklin hebt nicht mal den Kopf, sondern liest einfach seine Zeitung weiter. Uns stockt der Atem, als Ranald ihn brutal an den Haaren packt, direkt über dem Ohr.
„He, was soll d…“, schreit Franklin auf, aber er wird schon von seinem Stuhl hochgerissen, weg von seiner Zeitung, seinem halb ausgetrunkenen Kaffee, der säuberlich abgeschnittenen Toastbrotrinde.
„Mir reicht’s jetzt mit euch Arschlöchern!“, brüllt Ranald los. „Ihr besitzt ja noch nicht mal die Höflichkeit, einem ins Gesicht zu sehen, wenn man mit euch redet. Hast du nicht gehört, was ich gerade gesagt habe, du Scheißer?“
Franklin, der mit dem Kopf gegen Ranalds Jackett gedrückt wird, kreischt: „Nein! Was denn? Ich hab nichts gehört!“
Ranald fährt mit der Hand in Franklins Anzugjacke und zieht die Pistole hervor. „Da hilft nur Gewalt, hab ich gesagt. Euch muss man mit Gewalt dazu zwingen, dass ihr einen anseht!“, faucht er und stößt Franklin von sich weg, sodass der ältere Mann nicht auf dem Stuhl, sondern auf dem Boden landet. „Und weißt du was, Franklin? Ich war total am Boden und du hast mir den Weg gezeigt. So wie die Schlampe dort und ihr schäbiger Freund.“ Er lächelt drohend. „Ein bisschen Gewalt, habe ich gelernt, kann die Aufmerksamkeit der Leute enorm steigern.“
Er tritt Franklin so hart gegen ein Bein, dass er vor Schmerz aufschreit.
„Los, geh rüber zur Theke, du dreckiger Börsenhai“, kommandiert er, „und leg deine Hände oben drauf, damit ich sie sehen kann!“
Dann wedelt er mit der Pistole in Sulaimans Richtung. „Du auch, Muskelprotz. Und du.“ Er deutet auf Cecilia, die ihn mit schreckgeweiteten Augen anstarrt.
„Tut mir leid, dass du da mit reingezogen wirst“, sagt er beinahe freundlich zu ihr, „aber du sollst wissen, was ich mit Leuten mache, die mich betrügen und demütigen und meine Intelligenz beleidigen.“
„Was ist das hier für ein Radau?“, faucht M r Dimowski, der aus dem dunklen Flur im rückwärtigen Teil des Ladens auftaucht. Justine folgt ihm dicht auf den Fersen, mit aufgerissenen Augen. „Wer beleidigt wen?“
Ranald richtet seine Pistole auf M r Dimowskis Brust und die beiden bleiben abrupt stehen. M r Dimowski erinnert mich mehr denn je an Humpty Dumpty, eine Gestalt mit runden Augen und einem fassungslosen runden Mund, die eine abgewetzte Hochwasserhose trägt, die zu weit oben sitzt.
„Wenn ihr tut, was ich sage, passiert euch nichts“, murmelt Ranald gefährlich leise und winkt die beiden mit seiner Pistole zur vorderen Theke hinüber, wo die anderen sich mit ausgebreiteten Händen zusammendrängen. „Nur die, die mich verletzt haben, kriegen heute ihre Quittung. Also, sei kein Spielverderber, Dimitri, dann kannst du dein restliches Leben in Ruhe genießen.“
Justine stößt ein unterdrücktes Wimmern aus, als Ranald sie neben M r Dimowski, Cecilia und Franklin schubst. Er streicht mit dem Finger über ihren weichen Handrücken, und ihr Gesicht wird blass und starr bei der Berührung, als müsste sie sich jeden Moment
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