Mercy Thompson 04 - Zeit der Jäger-retail-ok
seine Nummer und gab ihm das Telefon. Wer auch immer vor der Tür stand, wurde langsam ungeduldig.
Ich zog mein T-Shirt zurecht und schaute kurz an mir herunter, um sicherzustellen, dass ich nichts an mir hatte, was verkündete: »Hey, ich habe einen Vampir in meinem Haus.«
Ich würde einen blauen Fleck auf dem Unterarm bekommen, aber noch war er nicht besonders deutlich. Ich glitt an
Mom vorbei und öffnete die Tür ungefähr fünfzehn Zentimeter weit.
Die Frau, die auf meiner Veranda stand, kam mir nicht bekannt vor. Sie hatte ungefähr meine Größe und auch mein Alter. Ihr dunkles Haar hatte helle Strähnen (oder ihr hellbraunes Haar hatte dunkle Strähnen). Sie trug so viel Makeup, dass ich es über das Parfüm hinweg riechen konnte, das vielleicht für eine menschliche Nase leicht und attraktiv roch. Ihre Aufmachung war makellos, wie ein reinrassiger Hund hergerichtet für die Rasseshow – oder eine Edelnutte.
Nicht der Typ, den man nachts auf der Veranda eines Wohnwagens in der Washingtoner Provinz erwartet.
»Mercy?«
Wenn sie nichts gesagt hätte, hätte ich sie niemals erkannt, weil meine Nase voller Parfüm war und sie in keinster Weise aussah wie das Mädchen, mit dem ich auf dem College gewesen war. »Amber?«
Amber war die beste Freundin meiner Mitbewohnerin auf dem College gewesen, Charla. Sie wollte Tierärztin werden, aber ich hatte mitbekommen, dass sie im ersten Jahr des Studiums aufgegeben hatte. Seit unserem Abschluss hatte ich nichts mehr von ihr gehört.
Als ich Amber das letzte Mal gesehen hatte, trug sie einen Irokesenschnitt, hatte einen Ring in der Nase (die damals größer gewesen war) und das Tattoo eines Kolibris im Augenwinkel. Sie und Charla waren seit der Highschool beste Freundinnen gewesen. Obwohl es Charla gewesen war, die beschlossen hatte, dass sie nicht zusammenwohnen sollten, hatte Amber immer mir die Schuld dafür gegeben. Wir waren eher Bekannte als Freunde gewesen.
Amber lachte, zweifellos wegen meines verwirrten Gesichtsausdrucks.
Es klang irgendwie zerbrechlich. Nicht dass ich in der Position gewesen wäre, pingelig zu sein. Ich war auch steifer als normalerweise. Hinter mir nährte sich ein Vampir von einem Werwolf; ich fragte mich, was sie wohl versteckte.
»Es ist lange her«, sagte sie nach einem kurzen, ungemütlichen Schweigen.
Ich trat zu ihr auf die Veranda und schloss die Tür hinter mir. Ich bemühte mich, nicht so zu wirken, als wolle ich sie aussperren. »Was führt dich her?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute über das unordentliche Feld hinter meinem Haus, wo ein rostiger VW-Golf auf drei Reifen stand. Von unserem Standpunkt aus konnte man weder das Graffiti noch die fehlende Tür oder die gesprungene Windschutzscheibe sehen, aber es wirkte trotzdem wie Gerümpel. Die alte Blechkiste war eine Sache zwischen Adam und mir, und ich würde mich nicht dafür entschuldigen.
»Ich habe in der Zeitung etwas über dich gelesen«, sagte sie.
»Du lebst in den Tri-Cities?«
Sie schüttelte den Kopf. »Spokane. Es wurde auch auf CNN gebracht, wusstest du das nicht? Das Feenvolk, Werwölfe, Tod … wie sollten sie dem widerstehen?« Für einen Moment hörte ich Humor in ihrer Stimme, auch wenn ihr Gesicht beunruhigend reglos blieb.
Wunderbar. Die ganze Welt wusste, dass ich vergewaltigt worden war. Genau, das hätte ich vielleicht auch witzig gefunden – wenn ich Lucrezia Borgia gewesen wäre. Es gab eine Menge Gründe, warum ich keinen Kontakt zu Amber gehalten hatte.
Sie war auch sicher nicht aus Spokane angefahren gekommen, um mich zu suchen, nur um mir dann zu erzählen, dass sie von dem Angriff gelesen hatte. »Also hast du über mich gelesen und entschieden, dass es vielleicht lustig wäre, mir zu erzählen, dass die Geschichte davon, wie ich meinen Vergewaltiger getötet habe, im ganzen Land bekannt ist? Dafür bist du hundertfünfzig Meilen gefahren?«
»Offensichtlich nicht.« Sie drehte sich wieder zu mir, und die peinlich berührte Fremde hatte sich in einen polierten Profi verwandelt, der mir noch fremder war. »Schau. Erinnerst du dich, als wir zusammen nach Portland gefahren sind, um uns dieses Theaterstück anzuschauen? Danach sind wir in eine Bar gegangen und du hast uns von dem Geist in der Damentoilette erzählt.«
»Ich war betrunken«, erklärte ich – was absolut stimmte. »Ich glaube, ich habe euch auch erzählt, ich wäre von Werwölfen aufgezogen worden.«
»Ja«, antwortete sie mit plötzlichem Eifer.
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