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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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habe davon geträumt. Es ist ein bisschen wie ein Déjà-vu. Ich wusste ja nicht, wonach wir suchen.«
    »Warum hast du es mir nicht erzählt?«
    »Ich schaffe es immer noch nicht, Träume von Visionen zu unterscheiden. Ich habe geglaubt, dass wir einfach nur zusammen dasitzen und kuscheln und so.« Er errötete.
    Der Anblick brachte mich zum Kichern.
    Mit gekränkter Miene wich er zurück.
    »Halt, nein, ich wollte dich nicht auslachen. Du hast nur so niedlich ausgesehen, als du das Wort ›kuscheln‹ ausgesprochen hast. Ich … ich war eben überrascht.«
    Er nickte zwar, starrte aber weiter auf seine Hände.
    Ich schlug willkürlich eine Seite des Tagebuchs auf. Tens musste unbedingt erfahren, was ich für ihn empfand. »Tens, ich möchte …« Als mein Blick auf die Worte unter meinen Fingern fiel, schnappte ich nach Luft. »O mein Gott, hier steht es. Er braucht eine Aufforderung.«
    »Zeig her.« Tens beugte sich ebenfalls über das Buch.
    »Die Energie einer toten Seele wird schwächer«, las ich laut vor. »Man muss sie bitten, durch das Fenster zu gehen. Dazu ist es nötig, sie hinüberzulocken. Allerdings kann sie dem, der sie transportiert, die Lebensenergie entreißen. Fenestrae müssen deshalb ihr Augenmerk auf die Seele richten und …«
    »Es heißt hier auch, dass es gefährlich und nur etwas für mit allen Wassern gewaschene Fenestrae ist …«
    Riskiere ich zu viel?
»Aber …«
    »Überleg es dir gut, einverstanden? Handle nicht überstürzt. Ich möchte dich nicht verlieren.«
    »Tante Merry würde es für mich tun.«
    »Vermutlich.« Tens nickte zustimmend. »Doch sie hat einige Jahre mehr Erfahrung auf dem Buckel. Du bist Anfängerin. Was, wenn wir einfach abwarten? Wir können erst deiner Tante beim Übergang helfen und uns dann um Charles kümmern.«
    »Und wenn sie nicht geht? Wenn ich dabei sterbe?«
    »Das wirst du nicht.«
    »Es könnte aber passieren.« Obwohl ich lieber nicht über diese Möglichkeit nachdachte, wollte sie mir einfach nicht aus dem Kopf.
    Tens rückte noch näher an mich heran.
»Das wirst du nicht!«
    Ich nickte und wünschte, ich hätte seine Gewissheitteilen können. Als wir eine Weile schweigend dasaßen, stieg mir wieder der Geruch von Rosen und Pfeifentabak in die Nase. Da wusste ich, dass ich recht hatte. »Du hast gesagt, ich läge normalerweise richtig, wenn ich meinen Instinkten vertraue, oder?«
    Tens’ Miene verfinsterte sich. »Jetzt drehst du mir die Worte im Mund um.«
    Ich nahm seine Hand. »Ich muss einfach. Verstehst du nicht? Für die Tante ist es wichtig, dass er sie im Himmel erwartet. Er will gehen, Tens. Ich schwöre dir, dass ich es schaffen werde. Ich
muss
es tun.«
    Er umfasste mein Kinn und sah mir in die Augen. In seinem Blick stand ein Gefühl, das ich nicht ergründen konnte. »Ich bleibe hier bei dir, einverstanden?«
    Ich nickte. Seine Kraft verlieh mir Mut.
    »Was jetzt?«
    »Jetzt rufe ich Charles.«
    Die einzelnen Schritte wurden in dem Buch nur sehr vage beschrieben, so dass man ihnen nicht folgen konnte wie den Anweisungen in einem Kochbuch. Zuerst holte ich das Hochzeitsfoto, Aufnahmen von Charles im Laufe der Jahre und seine Pfeife herbei. Dann sperrte ich Custos aus, da ich befürchtete, Charles’ Energie könnte ihr versehentlich schaden, wenn sie ihm zu nahe kam.
    »Was soll ich tun?« Tens hatte den Kamin eingeschürt, dass das Feuer dröhnte und knackte.
    »Mich ohrfeigen, falls ich ohnmächtig werde?«
Oder noch Schlimmeres.
Wie immer war mein Witz ziemlich lahm.
    »Und wie willst du ihn nun rufen?«
    »Keine Ahnung. Was schlägt das Buch vor?«
    Tens lächelte. »Komm raus, komm raus, wo immer du auch bist?«
    »Wie hübsch.«
    »Dazu steht da nichts. Ich glaube, du musst dir selbst etwas einfallen lassen.« Er zuckte mit den Achseln.
    »Gut, Charles. Merry braucht dich. Ich bin hier. Also lass uns anfangen«, wiederholte ich ein ums andere Mal. Mit fest geschlossenen Augen malte ich mir mein Fenster aus und versuchte mir vorzustellen, wie Charles im wirklichen Leben ausgesehen hatte. Mein Atem wurde regelmäßig, und ich versank immer tiefer.
    »Hier drüben, Kleines.« Charles stand plötzlich hinter mir.
    »So nennt Merry mich auch immer.«
    »Von wem, glaubst du, hat sie das?« Charles zündete seine Pfeife an. »Du hast ganz schön lange gebraucht. Ich dachte schon, ich müsste anfangen, die Lichter ein und aus zu schalten oder mit den Türen zu knallen.«
    »Aber ich bin endlich dahintergekommen.«
    »Wurde auch

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