Meridian
höchste Zeit.«
»Bist du bereit?« Ich beobachtete, wie ein Raum, der diesem Zimmer zum Verwechseln ähnelte, hinter meinen Augenlidern entstand.
»Hat sie dir erzählt, dass ihr Daddy dieses Haus gebaut hat und dass sie hier aufgewachsen ist? Ich habe im Laufe der Jahre einiges ergänzt und renoviert.«
»Nein.«
Er klang wehmütig. »Das, was passieren wird, wird ihr gar nicht gefallen.«
»Was wird denn passieren?«, fragte ich, aber er hörte mich nicht.
»Richte ihr aus, dass ich sie erwarte. Sie soll zu mir kommen, ohne sich umzuschauen.« Charles stieg durch das Fenster auf die andere Seite. Da bemerkte ich, dass er mich am Arm zog.
»Lass mich los.«
Er reagierte nicht. Unsere Finger waren ineinander verschlungen. Meine Hand rutschte über das Fensterbrett, dann mein Handgelenk. Mein Ellbogen. Ich stemmte die Füße in den Boden, um Halt zu finden, während ich mich immer mehr der Öffnung näherte.
Ich spürte, wie Panik mir die Wirbelsäule hinunterglitt. Mein Mund wurde trocken. »Lass los, Charles. Lass mich los. Du musst loslassen.«
»Die Dinge sind nicht so, wie sie erscheinen«, erwiderte Charles, während er mich weiter durch das Fenster zerrte. »Hier kann dir nichts geschehen. Komm mit und warte mit mir auf Merry.« Auf seinem Gesicht stand ein eindringlicher Ausdruck, der mir Angst machte, so als wisse er nicht, was er sagte.
Ich versuchte zu schreien, stützte den Fuß gegen die Wand und betete. Dabei wand und wehrte ich mich aus Leibeskräften. »Lass los. Ich kann nicht. Sie braucht mich hier, Charles. Wenn du mich nicht loslässt, siehst du sie nie wieder.«
»Du schwebst in Gefahr. Sie sind hinter dir her. Sie werden dich finden. Komm mit.« Sein Gesicht verzerrte sich, als er sich mit aller Kraft an mich klammerte.
Schweiß machte meine Arme und Hände glitschig. Ich holte tief Luft und bemühte mich, unsere Hände durch reine Willenskraft voneinander zu lösen. Aus der Ferne hörte ich meinen Namen. Tens klang ausgesprochen verängstigt.
Charles schien zu sich zu kommen. Nun versuchte auch er, sich von mir zu befreien. Seine Miene wurde wieder ruhig und einfühlsam. »Richte ihr eins-vier-drei aus. Sage ihr, dass ich sie liebe und sie erwarte. Eins-vier-drei. Unser Geheimcode.«
»Meridian!«, rief Tens wieder. Ich verließ mich auf seine Kraft und spürte, wie er Charles wegstieß und mich in die entgegengesetzte Richtung zog.
Mit einem Aufschrei knallte ich das Fenster zu. Als ich die Augen aufschlug, spürte ich, wie Tens’ Hände mir das Haar aus dem Gesicht strichen. Ich war völlig durchgeschwitzt und keuchte wie nach einem Einhundert-Meter-Lauf.
»Alles ist gut. Ich habe dich rausgeholt.« Tens nahm mich in die Arme und bedeckte meine Stirn und meinen Kiefer mit Küssen.
Ich klammerte mich ganz fest an ihn und ließ mich von ihm wärmen, bis meine Angst sich gelegt hatte.
»Ich halte dich. Du bist in Sicherheit. Du hast es geschafft«, murmelte er in mein Haar.
Vor lauter Erschöpfung konnte ich nicht einmal antworten. Schließlich schlief ich ein.
Die Liebe ist der größte Akt des Glaubens.
Lucinda Myer
Kapitel 27
Ich erwachte in Tens’ Armen. Mein Mund war mit angetrocknetem Speichel verkrustet, und meine Augen brannten.
»Hallo«, sagte er.
Ich blinzelte ihn an. »Wie viel Uhr ist es?«
»Früh, noch sehr früh. Ist alles in Ordnung? Du hast mir Angst gemacht.«
Ich streckte mich. Abgesehen von den steifen Gliedmaßen, weil ich auf dem Boden geschlafen hatte, fühlte ich mich ausgezeichnet.
»Mir geht es spitze.«
Tens lächelte. »Spitze?«
Ich setzte mich auf. »Wirklich, wirklich wunderbar.« All die Schmerzen und Wehwehchen, mit denen ich mich so lange abgequält hatte, waren verschwunden, die dauernde Übelkeit und die Müdigkeit wie weggeblasen. »Ich fühle mich gut.«
Ich liebte die Lachfältchen, die um Tens’ Augen entstanden, wenn er von Grund auf glücklich und entspannt war.
Er wird mich küssen. Jetzt wird er mich küssen.
Ich beugte mich zu ihm hinüber, schloss die Augen, hielt den Atem an und wartete darauf, dass seine Lippen meineberührten, während die Zeit stehenblieb. Mein Herz klopfte Schlag um Schlag.
Gerade als sein Mund beinahe meinen gestreift hätte, erbebte der Boden, und die Türen erzitterten. Das Haus wurde von Explosionen erschüttert. Metall knirschte, Glas zersplitterte.
Die Wucht der Detonationen brachte das Haus in seinen Grundfesten zum Wanken. Gefolgt von Tens rannte ich
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