Merlin und der Zauberspiegel
starrte uns voller Angst an. Seine Wangen waren zwar schlammbeschmiert, zeigten aber immer noch eine gesunde Gesichtsfarbe.
Über den stahlblauen Augen hingen gelbe Locken – kaum sichtbar zwischen all den Zweigen, Farnfiedern und Modderklumpen in
seinem Haar. Die zerfetzten Gewänder hingen an ihm wie welke Blütenblätter und gaben ihm das Aussehen eines ältlichen Bettlers.
Aber er konnte nicht älter als zwölf sein.
Die Schulter tat mir immer noch weh, als ich wütend den Stock schwenkte. »Dein Name.«
»Ich, äh . . .« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ector, Herr.« Während er das Bein unter Hallias Gewicht bewegte,
sagte er: »Und ich wollte dich nicht angreifen.«
Ich wurde wütend. »Das ist eine Lüge.«
»Ich, nun . . . wollte angreifen. Aber nicht dich.« Er kratzte sich am Kopf, schüttelte ein paar Zweige los und schaute mich
traurig an. »Ich wusste nicht, dass du ein Mensch bist, verstehst du. Ich dachte, du bist ein Goblin oder noch Schlimmeres.«
Er runzelte die Stirn, während er meinen Stock mit den seltsamen eingeschnitzten Symbolen betrachtete. »Du wirst mich nicht
damit schlagen, oder?«
Ich richtete mich auf und rieb mir die Schulter. »Nein,obwohl ich dir von Rechts wegen die gleiche Freundlichkeit erweisen sollte wie du mir.«
»Es tut mir Leid«, erklärte der Junge. »Wirklich Leid. Das war, äh, ziemlich unfreundlich von mir.«
Hallia nahm den Fuß von seinem Schenkel. »Ziemlich.«
Ich betrachtete ihn nachdenklich. Dieser Junge hatte etwas an sich, das mich – trotz meiner schmerzenden Knochen – milde stimmte.
Das mich bewog ihm eine zweite Chance zu geben, auch wenn er sie nicht verdiente. Ich schob den Stock in den Gürtel meiner
Tunika. »Ich glaube, ich kann deine Verwirrung verstehen, wenn auch nicht dein Ungestüm. Dieser Sumpf ist ein bisschen unheimlich.«
Ector senkte den Blick. »Das stimmt.«
Ich streckte die Hand aus und half ihm auf die Füße. »Mach dir keine Sorgen, junger Mann. Jeder verdient die Möglichkeit,
ab und zu einen saftigen, dicken Fehler zu begehen. Beim Skelett der Riesen, ich habe jedenfalls genügend gemacht.«
Seine Lippen zuckten, als er grinste. »Du hörst dich an wie . . .« Er unterbrach sich. »Wie jemand, den ich kenne.«
»Nun, hoffentlich begrüßt du ihn nicht jedes Mal mit einem Sprung von einem Baum.«
Das Grinsen wurde breiter. »Nur dienstags.«
»Gut. Wir nennen den heutigen Tag Dienstag, dann habe ich wenigstens eine Woche Zeit mich zu erholen.«
Er schaute mich dankbar an. »Dienstag soll es sein.«
»Männer sind wirklich sonderbar«, sagte Hallia. Sie trat vor, ihre nackten Füße knirschten auf dem Sumpfgras. »Aber ich will
dir meinen Namen anvertrauen, wie du uns deinen genannt hast. Ich bin Eo-Lahallia, doch meineFreunde nennen mich Hallia.« Sie wies mit dem Kopf auf mich. »Und das ist junger Falke.« Ich wollte schon widersprechen, als
sie mich anlächelte und fortfuhr: »Er wird auch anders genannt. Aber das ist, glaube ich, sein Lieblingsname.«
Leise erwiderte ich: »Das stimmt.«
Ector nickte. »Ich freue mich dich kennen zu lernen, Hallia. Und dich, junger Falke.«
Ich betrachtete das Gesicht des Jungen. Es war hoffnungsvoll trotz der zunehmenden Düsternis. Woher kam mein seltsamer Drang,
ihm zu helfen, ihn sogar zu beschützen? Schließlich hatte er vor ein paar Minuten nach Kräften versucht mich zusammenzuschlagen.
Ich schaute zu dem Baum hinauf, in dem er sich versteckt hatte, und fragte mich, ob das Gefühl mit meiner Erinnerung daran
zu tun hatte, dass ich als kleiner Junge in die Äste eines Baums geflohen war. Oder ob es von etwas anderem kam, das ich mir
nicht recht erklären konnte.
Ich sah ihm direkt ins Gesicht und fragte: »Was hat dich hierher gebracht? Hast du dich verirrt?«
Er zog einen durchweichten Farnstängel von seinem Hals. »Nein – und ja. Ich kam hierher auf der Suche nach . . .« Er wandte
sich ab. »Nach etwas, das ich nicht verraten kann. Ich würde es euch sagen, wenn ich es könnte, wirklich. Aber ich habe es
ihm versprechen müssen.«
»Wem?«
»Meinem Meister.«
Etwas leiser fragte ich: »Und wer ist dein Meister?«
Ein plötzlicher Wind erhob sich, ließ Ectors zerfetzte Gewänder flattern und pfiff durchs Gras. Der tote Baumneigte sich bedenklich und gab ein einzelnes, lautes Knarren von sich.
»Wer ist es?«, fragte ich wieder.
»Ich, nun . . .« Ector biss sich auf die Lippe. »Das kann ich euch auch
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