Merlin und der Zauberspiegel
nicht sagen.«
Hallia hob misstrauisch den Kopf. »Mehr als das willst du uns nicht verraten?«
Ector trat im schlammigen Wasser nervös von einem Fuß auf den anderen. »Nun . . . ich kann euch sagen, dass ich mich verirrt
habe.«
»Wie entgegenkommend«, sagte ich spöttisch.
Kleinlaut fügte er hinzu: »Ich wollte, ich könnte mehr sagen.« Seine blauen Augen fingen an zu glitzern. »Glaubt mir, ich
möchte keine weitere Nacht – keine weitere Minute – in diesem schrecklichen Sumpf verbringen. Aber jetzt sieht es aus, als
würde ich meinen Auftrag verfehlen und meinen Meister enttäuschen. Ich will nur . . . ich will nicht auch noch mein Versprechen
brechen.«
Dieses starke Ehrgefühl überraschte mich und machte ihn mir erneut sympathisch. »Dann behalte deine Geheimnisse für dich.
Aber wenn du uns nicht sagen willst, wohin du gehst oder was du suchst, können wir dir auch nicht helfen.«
Der Junge bewegte die Zunge, als wollte er mehr sagen. Doch dann hielt er sich zurück und schluckte. »Dann muss ich ohne eure
Hilfe auskommen.« Er versuchte die Schultern zu straffen. »Würdet ihr mir nur noch eins sagen?«
»Das kommt darauf an.«
Er schaute besorgt in die aufsteigenden Dünste. Der dunkler werdende Nebel kreiste, griff nach unseren Beinen,wand sich um unsere Arme. Flüsternd sagte der Junge: »Ein paar Minuten bevor ihr gekommen seid, ist der ganze Sumpf plötzlich
verstummt. Hört ihr es jetzt? Noch nicht einmal ein quakender Frosch, auch keine anderen, äh, Geräusche. Da bin ich auf den
Baum geklettert.« Er runzelte die kindliche Stirn. »Kennt ihr den Grund für diese Stille? Was sie bedeutet?«
»Nein. Aber ich würde wetten, dass sie Gefahr bedeutet.«
Hallia hob den Kopf und horchte auf die Stille. »Mir kommt sie wie eine Verzauberung vor. Eine böse Verzauberung.«
Ector holte ängstlich Luft. »Vielleicht«, bat er hoffnungsvoll, »könnten wir eine Zeit lang zusammen weitergehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Unser Vorhaben ist zu gefährlich. Wenn du bei uns bleibst, könnte das dein Verderben bedeuten.«
»Und außerdem«, sagte Hallia spitz, »müssten wir mehr über dich wissen. Viel mehr.«
Ihr Misstrauen versetzte mir einen Stich. Doch ich wusste, dass sie Recht hatte, auch wenn ich mich noch so sehr zu dem Jungen
hingezogen fühlte. Was wusste ich wirklich über ihn? Außer dass er von einem Ast auf mich heruntergesprungen war? Resigniert
streckte ich ihm die Hand entgegen. »Viel Glück, Ector.«
Er nickte mürrisch. Langsam hob er die Hand und ergriff meine. Obwohl er kleiner war, drückte er fest zu und versuchte seine
Angst nicht zu zeigen. Entschlossen sagte er: »Nun gut. Ich habe schon ein paar Tage hier allein überstanden, ich werde noch
ein paar aushalten.«
Ich merkte zwar, dass er sich nicht so mutig fühlte, wie seine Worte klangen, aber ich sagte nichts. Er drehte sich um und
ging davon, seine zerfetzten Gewänder schlugen gegen das Gras, während er eine Richtung einschlug, die unserem Ziel, der Anhöhe,
entgegengesetzt war.
»Vorsicht«, rief ich ihm nach. »Bald wird es dunkel.«
Er winkte ohne sich umzudrehen.
»Tapferer Junge«, murmelte ich, während ich ihm nachschaute.
»Ein verschlagener Junge, wenn du mich fragst.« Hallias Blicke folgten der schattenhaften Gestalt, die im Nebel verschwand.
»Ich glaube, es ist gut, dass wir ihn los sind.«
»Verschwiegen, ja«, entgegnete ich. »Aber verschlagen? Da bin ich mir nicht so sicher. Es stimmt, er könnte einer sein, dem
nicht zu trauen ist. Oder . . .«
»Was?«
»Einer, der einfach seinen Meister sehr liebt. So sehr, dass er alles für ihn tun würde – selbst wenn es bedeutet, allein
in diesem Moor umherzuwandern.«
»Hmmm.« Sie schniefte. »Hirsche, die einander nicht ihre wahren Beweggründe anvertrauen, können nicht zusammen laufen.«
Inzwischen war von dem Jungen nichts mehr zu erkennen. Ich schaute ihm nach, sah aber nur noch ständig wogende Nebelschleier.
Dann, allmählich, bemerkte ich eine Veränderung. Nicht im Sumpf, der so still blieb wie zuvor, sondern im Nebel. Während ich
zuschaute, wurden seine eben noch fließenden Bewegungen immer abgehackter. Die Wolken schienen sich anzuspannen, ihre Bewegungslosigkeit
verband sich mit der Lautlosigkeit im Moor.
Im nächsten Moment ertönte ein raues, surrendes Geräusch. Mit dem Bruch der Stille begannen die Nebel wieder zu wogen. Der
Lärm schien von überall zugleich zu kommen, von den
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