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Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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Holzteller lagen mehrere Laibe dampfend heißes Brot, alle nach Slantosart gebacken; Ambrosiabrot war das erste,
     das ich auseinander brach. Nusskuchen und Schüsseln mit Gemüsesuppe, in Honig getauchte Maronen und Erdbeeren mit Sahne, Rote-Bete-Püree
     und Käse in Dill, gebackene Rüben und verschiedene Blattgemüse – das alles häufte sich auf dem Tisch. Sofort setzten Artus
     und ich uns auf die Hocker und machten uns über die Genüsse her.
    Der Alte schaute uns eine Weile beifällig zu, dann zog er sich seinen Hocker heran. Er griff nach der Flasche mit der schäumenden
     Flüssigkeit, goss sich einen Becher voll und trank – zu meinem Erstaunen – in tiefen Zügen. Als er den Becher sinken ließ,
     trafen sich unsere Blicke. Mit einem wissenden Lächeln bot er mir einen Schluck an.
    »Nein, danke«, antwortete ich und wischte mir etwasSoße von der Wange. »Ich glaube, das ist nicht das Richtige für mich.«
    Er trank noch einen Schluck. Schaum hing an seinem Bart, als er den Becher kippte. »Aah. Bist du sicher, mein Junge? Ich mag
     es sehr gern.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber sonst ist dieses Festmahl ganz außerordentlich.«
    »Ich nehme an, es ist eine anerzogene Vorliebe, eines dieser unerklärlichen Phänomene.« Er stellte den Becher ab und warf
     fast die Rote-Bete-Platte um. »Man braucht ein paar Jahrhunderte, bis man sich daran gewöhnt hat, das ist alles.«
    Artus nickte; er aß gerade ein Stück Käse, während er in der einen Hand einen Hähnchenschlegel und in der anderen eine große
     Karotte hielt. »Das ist dein bisher bestes Bankett, Meister.« Fragend neigte er den Kopf. »Bekommen wir vielleicht ein bisschen
     von diesem . . . hmmm, wie hast du es genannt? Kalte Speisecreme?«
    Der alte Magier grinste. »Ah, du meinst Speiseeis. Nach den Hubschraubern die beachtlichste Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts.«
     Nachdenklich zupfte er sich am Ohr. »Trotzdem, ein Hubschrauber ist nichts im Vergleich zu einem Kolibri! Habt ihr gewusst,
     dass seine kleinen Flügel mehr als fünfzig Mal in der Sekunde durch die Luft schlagen? Und dass der rötlich braune Kolibri,
Rufous
genannt, über siebentausend Meilen im Jahr fliegen kann, obwohl er nicht größer als meine Handfläche ist?«
    »Äh . . . nein«, antwortete ich ehrlich; ich hatte nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach.
    »Nun gut. Was ist also mit dem Eis?« Er blinzelte und drei Holzschüsseln erschienen. Eine Art weicher, beigerPudding war darin, mit Soße übergossen – hellbraun für uns und bernsteingelb für ihn. Artus ließ den Hähnchenschlegel fallen
     und stürzte sich auf seine Schüssel, die er ans Gesicht hob. Vorsichtig steckte ich zuerst den Finger in meine Portion. So
     kalt! Das schien eher Schnee als etwas Essbares zu sein. Ich zog die Hand zurück und runzelte unsicher die Stirn.
    »Kaffeegeschmack«, sagte der Alte, während er einen Löffel voll aß. »Mit Honigwaben für euch.« Sein Grinsen wurde breiter.
     »Und einem Schuss armenischem Cognac für mich.«
    »Armenischem . . . was hast du gesagt?«
    »Cognac, mein Junge. Den wirst du in einem anderen Jahrtausend finden. Und glaub mir, er lohnt das Warten. Er lohnt sogar
     die grässliche tagelange Busfahrt zu diesem Weinberg.«
    »Busfahrt?«
    »Ach Fummelfedern!«, rief der Zauberer. »Wie konnte ich das vergessen? Wir können doch nicht speisen ohne Musik, was was?«
    Schwungvoll deutete er auf eine schöne Harfe, die an der Wand über einem schmalen Bett oder vielleicht Nest mit Daunenfedern
     hing. Sofort stieg die Harfe höher an der Wand hinauf, die glitzernden Saiten wurden sichtbar. Abgesehen von dem Schallbrett
     aus Eiche, mit Eschenstreifen eingelegt, bestand der herzförmige Rahmen aus grünen Ranken, die fest umeinander gewunden waren.
     Von den Ranken hingen schmale, leuchtend grüne Blätter über die Ränder der Harfe. Als der Zauberer mit den Fingern schnalzte,
     krümmten sich die Blätter hinunter – und fingen an die Saiten zu zupfen. Eine leise, einschmeichelndeMelodie, besänftigend wie ein plätschernder Bach, zog durch die Kristallhöhle.
    Einen Augenblick beobachtete ich die zupfenden Blätter, dann fragte ich den Alten auf der anderen Seite des Tischs: »Diese
     Harfe hast du selbst gemacht, nicht wahr?«
    »Ja«, antwortete er versonnen, »aber nur eine noch höhere Macht kann die Musik erklingen lassen.«
    In diesem Moment flatterten Flügel auf uns herab. Eine fette weiße Gans landete auf dem Tischrand nicht

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