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Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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Haarlocke. Hinter uns wurde die Harfenmusik langsamer, die Melodie schien melancholischer
     als zuvor. »Nicht direkt«, sagte er schließlich. Langsam wandte er sich mir zu. »Wenn ich mehr sage, könnte es, nun, die Dinge
     verwirren. Für dich ebenso wie für sie. Genieße einfach alle eure gemeinsamen Momente.«
    »Momente?«, wiederholte ich mit rauer Stimme.
    »Das ganze Leben ist nichts als ein Strom von Momenten, mein Junge, von denen jeder seine eigenen Entscheidungen, seine eigenen
     Wunder, seine eigenen Geheimnisse birgt. Und, fürchte ich, seine eigenen Gefahren. Aber so viel habe ich gelernt: Zuweilen
     kann sich, was in einem Moment als Fluch erscheint, am Ende als Segen erweisen.«
    Sanft berührte ich einen Seegrashalm. »Oder umgekehrt?«
    Er nickte. »Oder umgekehrt. Und man weiß es nie, bis der Moment vorbei ist.«
    Er griff nach einer schweren zweischneidigen Axt und hob sie leicht vom Steinboden, bevor er sie mit einem dumpfen Schlag
     zurückfallen ließ. »Wie diese schreckliche Waffe zum Beispiel. Sie sieht doch unbedingt wie ein tödliches Instrument aus oder
     etwa nicht?«
    »Natürlich«, antwortete ich. »Dafür ist eine Streitaxt da.«
    Seine Augenbrauen hoben sich wie aufsteigende Wolken. »Nun, dann wird es dich interessieren, dass diese Streitaxt dein Leben
     gerettet hat – oder retten wird, sollteich sagen. Zweifellos! Auch meines, wenn ich es recht bedenke. Und auf eine höchst unerwartete Weise.«
    Bevor ich ihn bitten konnte das näher zu erklären, fuhr er mit den Fingern über den Silbergriff meines Schwerts. »Genau wie
     dieses Schwert das Leben des jungen Artus dort drüben retten wird – oh ja, viele Male.«
    Ich schaute über die Schulter zu dem Jungen hinüber und sah, wie er seine restliche Suppe trank und ein Stück Nusskuchen abbrach.
     »Ich wusste es tief in den Knochen, dass er derjenige ist.«
    »Genau derjenige.« Sanft klopfte er mir auf die Schulter. »Und du wirst ihn führen, so gut du kannst, ob er auf der Suche
     nach dem legendären Gral ist – etwas so Wunderbares wie der Blick in die Augen von sieben weißen Wölfen – oder auf der Suche
     nach seinem wahren Ich.«
    Meine Kehle war trockener denn je, ich versuchte zu schlucken. »Findet er jemals diesen Gral?«
    »Nein«, antwortete der Magier. »Aber die Suche war dennoch erfolgreich.«
    »Das macht keinen Sinn.«
    Er schlang die Finger in den Bart. »Oh, aber doch, wahrhaftig. Genau wie seine noch größere Suche nach einem völlig neuen
     Konzept von Gerechtigkeit und Gesetz – von hohen Idealen beflügelt, aber in seiner Zeit zum Scheitern verurteilt. Denn allein
     die Anstrengung führte zu einem Triumph, gefährdet, aber dennoch lebendig. Einem Triumph, der die Tragödie immer noch überdauern
     könnte.« Mit einer Mischung aus Trauer und Zuneigung betrachtete er den Jungen, der noch mehr Nusskuchen in sich hineinstopfte.
     »Deshalb wird er inkünftigen Zeiten der größte aller Könige von Gramarye genannt werden, der frühere und zukünftige König.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wie kann Artus scheitern und dennoch am Ende triumphieren?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass er das würde, Junge. Nur dass er es könnte.« Seine Augen funkelten, in ihnen spiegelte sich das
     Licht der Kristallwände. »Genau wie du und ich es könnten.«
    Plötzlich war mir das Herz schwer. Ich stand schweigend da und wollte mehr wissen, fürchtete mich aber zu fragen.
    Er holte langsam, mühsam Atem. »Weißt du, ich habe den jungen Artus aus einem einfachen Grund zurück zu diesem Moor geschickt.
     Es war die einzige Möglichkeit – die einzige Hoffnung   –, mich zu retten. Dich. Uns.«

XXIV
MERLINS INSEL
    D er Greis – mein älteres Ich – fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. Müde gab er zu: »Das verlangt einiges an Erklärung,
     fürchte ich. Sollen wir uns setzen?«
    Ohne auf meine Antwort zu warten bewegte er auf merkwürdige Art seine Finger. Sofort brach der Boden hinter uns auf und schleuderte
     Steinsplitter durch die Höhle. Ich sprang zur Seite, obwohl der Zauberer sich nicht von der Stelle rührte. Als ich mich umdrehte,
     sah ich, dass eine ausgewachsene Buche durch den Boden gedrungen war, ihre Zweige bogen sich von einer Wand zur anderen und
     berührten auf beiden Seiten die Kristalle.
    Scheu betrachtete ich den Baum, dessen stämmige Wurzeln jetzt die zerbrochenen Steine umklammerten. Ungleich allen Bäumen,
     die ich bisher gesehen hatte, wuchs der Stamm nur ein kurzes Stück

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