Merlin und der Zauberspiegel
Wichtiges.« Der verwirrte Ausdruck wich einem überaus besorgten.
»Wo, Junge, ist der Schlüssel?«
Ector ließ die Schultern hängen. Deutlich war ihm anzusehen, dass er am liebsten in den Ritzen zwischen den Steinen verschwunden
wäre. Seine Worte, obwohl sie nur ein Flüstern waren, wirkten wie ein lauter Schrei: »Ich habe versagt, Meister.«
Lange rührte sich der Alte nicht. Zuerst dachte ich, er hätte es nicht verstanden. Endlich bemerkte ich einen feuchten Glanz
in seinen Augen. »Du meinst . . .«
»Ich habe ihn nicht.«
Mir verkrampfte sich der Magen. Ich schaffte es, mich zwischen den beiden aufzusetzen. »Es war nicht seine Schuld«, erklärte
ich. »Wenn jemand versagt hat, dann nicht er. Ich war es.«
Der Alte musterte mich. Er regte sich nicht, außer dass er sehr langsam eine seiner wirren Brauen hochzog.
Unter dem Gewicht seines Blicks wandte ich mich ab. »Er . . . er hat versucht es mir zu sagen. Und ich hätte besser zuhören
sollen.«
Mit seiner runzligen Hand klopfte er auf den Boden. Das Geräusch hallte in der schattigen Kammer nach, bis es schließlich
erstarb. »Ich verstehe«, sagte er endlich. »Ärgere dich nicht zu sehr, Junge. Ich hätte zu oft in meinem Leben besser zuhören
sollen, als dass ich dich jetzt tadeln könnte.« Er seufzte schwer. »Viel zu oft.«
Seine großmütigen Worte hoben meine Stimmung ein wenig. Doch zugleich schnürte mir die echte Besorgnis in seinem Gesicht die
Kehle zusammen.
Mit einer Hand zog er am Kragen seiner Tunika – tiefblau schien sie, aber ich war mir nicht sicher. »Ah, zuhören. Die schwierigste
aller Künste.« Er zwang sich zu einem schwachen Grinsen. »Schwerer ist, glaubeich, nur der Versuch, den eigenen Schatten zu zähmen.«
Traurig nickte ich. »Glaub mir, ich weiß, was du meinst.«
Er richtete sich auf, wobei seine Gelenke knackten. »Alsdann. Oder jetzt. Sollten wir uns nicht miteinander bekannt machen?«
Er schaute Ector fragend an. »Das haben wir noch nicht getan, oder?«
»Nein, Meister.« Ector deutete auf mich. »Das ist junger Falke.«
Von irgendwo im Raum hörte man einen schwachen Schrei und Flattern. Der Alte schien es nicht zu bemerken und wandte sich wieder
mir zu. Das schwache Licht streifte seine Züge und die Barthaare. »Ein merkwürdiger Name ist das. Wie nennt man dich sonst
noch?«
Ich schaute in die dunklen Augen. »Die meisten sagen einfach Merlin.«
Wieder hallte ein Schrei – diesmal viel lauter. Der Alte wurde erregt. »Nein, mein Junge. Ich wollte deinen Namen hören, nicht
meinen!«
»Das
ist
mein Name.«
»Merlin?« Er beugte sich näher und trommelte mit den knochigen Fingern auf den Boden. »Das ist unmöglich. Nein, unvorstellbar.«
Ector streckte die Hand unter seinen zerfetzten Gewändern hervor und berührte mein Knie. »Bist du . . . wirklich Merlin?«
Verblüfft erklärte ich: »Natürlich! Warum nicht? Und warum hat er gesagt,
sein
Name sei Merlin?«
»Weil es stimmt.« Plötzlich strahlte das Gesicht des Jungenauf wie eine Fackel. »Aber natürlich. Das muss es sein! Er hat denselben Namen wie du, weil er – mein eigener guter Meister
– in Wirklichkeit
du
ist.«
»Ich?«, fragte ich verdutzt.
»Dein älteres Ich.«
Mir verschlug es die Sprache.
Der Alte starrte mich entgeistert an.
Der Junge jedoch betrachtete uns beide staunend. »Versteht ihr nicht? Ihr seid beide Merlin, aber aus verschiedenen Zeiten.«
Er lachte. »Ich wusste, dass etwas Seltsames an dir war, junger Falke. Seltsamerweise wie bei meinem Meister! Es tut mir Leid,
dass ich dir nichts sagte, noch nicht einmal meinen richtigen Namen. Er – ich meine du, das ältere Du – riet mir niemandem
zu trauen, den ich im Moor treffen würde.«
Mir schwirrte der Kopf. »Willst du damit sagen, dass du nicht Ector heißt?«
Er fuhr sich mit der Hand durch die Locken. »Nein. Mein Vater ist es, verstehst du, der Ector heißt – Sir Ector, vom Forest
Sauvage. Mein richtiger Name ist – Artus.«
Obwohl ich den Namen noch nie gehört hatte, spürte ich eine unerklärliche Erregung. »Und warum nennst du ihn – äh, mich –
deinen Meister?«
»Weil es besser klingt als Mentor oder Lehrer. Aber mein Lehrer ist er – in allen möglichen Fächern, manche sind ziemlich,
nun, ungewöhnlich. Sogar fantastisch.« Er grinste verlegen. »Er hat mir sogar erzählt, dass er mir eines Tages zeigen wird,
wie man ein Schwert aus einem . . . ach, du würdest es sowieso nie
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