Merlin und die Fluegel der Freiheit
die Luft und schoben die Dunkelheit zurück. Das Meer sah schaumig rot aus
wie ein übles kochendes Gebräu.
Mit seinen Schwertschlägen trieb mich der Krieger rückwärts den Hügel hinunter bis an den Rand einer Klippe. Sie war genauso
steil wie jene, die ich erstiegen hatte. Hinter mir und weit unten hörte ich die Brandung gegen die Felswand schlagen. Über
den Rand zu fallen würde den sicherenTod bedeuten – eine Tatsache, die dem Töter bewusst war.
Eine seiner Klingen sauste über meinen Kopf und heulte dabei in der Luft. Beim Ausweichen stolperte ich über eine zerbrochene
Harfe, die aus dem Schutt ragte. Ich fiel auf die Seite, ließ das Schwert fallen und rutschte fast bis zur Kante. Halt suchend
krallte ich die Finger in den Schmutz und schaffte es im letzten Bruchteil einer Sekunde, nicht weiterzurollen.
Ich wollte mich aufsetzen, da stieß mich eine Schwertspitze in die Brust. Der Töter stand schwankend vor Erschöpfung über
mir, seine Schädelmaske war von der aufgehenden Sonne scharlachrot gestreift. »Jetzt«, krächzte er, »ist es Zeit, . . . einen
Zaubererzwerg zu töten.« Er keuchte heiser, dann fügte er hinzu: »Ich habe sehr . . . lange darauf gewartet.«
Obwohl das Schwert mir in die Rippen stieß, versuchte ich aufrecht zu sitzen. »Wer bist du? Was habe ich dir jemals getan?«
»Mehr, als du dir vorstellen kannst«, war die raue Antwort.
Ich hielt die Luft an. Denn die Stimme – ja, zweifellos die Stimme – klang so vertraut, dass ich sie beinahe erkannte. Beinahe,
aber nicht ganz.
»Ich glaube dir nicht.«
Aus der Kehle des Kriegers kam ein langes, tiefes Grollen. »Nun gut, du Welpe, vielleicht glaubst du das.«
Ein Schwert drückte er weiter auf meine Brust, das andere hob er zum Kinn seiner Schädelmaske und warf sich mit einem Ruck
die ganze Maske vom Kopf. Mit funkelnden grauen Augen starrte er mich an.
Dinatius.
Erschrocken fiel ich zurück. Derselbe Dinatius,der vor langer Zeit versucht hatte meine Mutter und mich zu töten. Derselbe Dinatius, der meiner Meinung nach umgekommen war
in den schrecklichen Flammen, die ich auf uns beide herabbeschworen hatte. Ich krümmte mich bei der Erinnerung daran: Dinatius
gefangen, seine muskulösen Arme unter dem Gewicht eines Baums zerquetscht, wie er vor grässlichen Schmerzen schrie, als seine
Haut und seine Brust brannten. Das Feuer hatte mich die Augen gekostet – und Dinatius, wie ich jetzt erkannte, die Arme. Große
Geister!
»Du erkennst mich also? Das freut mich. Du sollst wissen, wer dich schließlich geschlagen hat.« Er rieb die beiden Klingen
aneinander, als würde er sich auf ein Fest vorbereiten. »Dinatius ist dein Besieger! Ich und mein mächtiger Freund.«
»Freund?« Der Wind vom Meer pfiff und blies kalt an meinen Rücken. »Wer ist das?«
Er fing an vor mir hin und her zu gehen wie ein hungriger Wolf, der seine Beute endlich in die Enge getrieben hat. Die ganze
Zeit leuchteten seine Augen triumphierend und er hörte nicht auf mit der Schwertspitze auf meine Brust zu stoßen. »Kannst
du es nicht erraten, du Welpe? Oder muss er in Gestalt eines wilden Keilers hier stehen?«
Das Blut wich aus meinem Gesicht. Rhita Gawr! Genau wie ich gefürchtet hatte, wollte er mich davon abhalten, die Bewohner
Fincayras zu alarmieren. Darum hatte er Dinatius als Helfer angeworben, ihm Arme aus tödlichem Stahl gegeben und die Macht,
meine eigene Magie gegen mich zu verwenden. Zweifellos stammte auch die Idee, die Kinder anzugreifen, von Rhita Gawr.
Er hatte mich in eine Falle gelockt – und noch schlimmer, der Köder in der Falle war meine eigene Schöpfung! Wennich Dinatius bei diesem Wutanfall vor langer Zeit nicht so schwer verletzt hätte, wäre er nie Rhita Gawrs Verbündeter geworden.
Jetzt würden viele weitere Leben und das Leben meines Heimatlandes verloren sein.
»Dinatius«, flehte ich, »siehst du nicht, wie Rhita Gawr dich benutzt hat? Er gab dir Schwerter, keine Arme, wie du sie zuvor
hattest, damit du ihm dienen konntest. Alles, was er bot, war . . .«
»Rache!«, brüllte mein Gegner so laut, dass seine Stimme die ferne Küste jenseits der Wasserstraße erschütterte. »Das hat
er mir geboten, du Welpe, und ich habe es angenommen.« Seine Wangen, mit braunen Stoppeln bedeckt, röteten sich. Zugleich
beschleunigte er seinen Schritt – und seine Schwertstiche, mit denen er mich fast über den Rand der Klippe stieß. »Spar dir
deine klugen Worte, du
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