Merlin und die Fluegel der Freiheit
Bettlerplage.«
»Ich will nur, dass du es verstehst! Es war schrecklich, was ich dir angetan habe. Schrecklich! Und ich bereue es seit langem.
Aber jetzt müssen wir . . .«
»Jetzt müssen wir die Sache regeln!«, brüllte er und beschleunigte seinen Schritt noch mehr. Er ging vom Rande der Klippe
auf einer Seite von mir zur anderen Seite hinüber. »Du wirst sterben für das, was du getan hast, lächerlicher Zauberer. Jetzt!«
Und er brüllte wütend und stieß mit der Klinge nach meinem Herzen, das ganze Gewicht legte er in den Angriff. Zugleich bröckelte
der Fels direkt unter ihm am Rande der Klippe. Ich spürte, wie die Waffe meine Haut traf und dann hochfuhr, während er wild
um sich schlug. Sein Brüllen verwandelte sich in einen Schrei, in einem Wirrwarr aus Steinen und fliegendem Schmutz fiel er
in die Tiefe.
Endlich legte sich die erstickende Staubwolke. Ich sah, dass der Felsrutsch eine Rinne hinterlassen hatte, steil, aberbegehbar, bis hinunter zum Strand – ein Sandstreifen, viel schmaler als die Stelle, an der ich Elen und die anderen verlassen
hatte. Unter mir, halb unter all dem Schutt begraben, lag Dinatius. Rasch ergriff ich mein Schwert und rutschte auf dem Rücken
hinunter, mit den Stiefeln bremste ich. Noch mehr Schmutz stob in die Luft und prasselte mir ins Gesicht. Endlich erreichte
ich den Fuß der Klippe und kroch zu Dinatius.
Ich schaute ihn so finster an wie er zuvor mich. Nach der verzerrten Stellung seiner Beine waren beide gebrochen. Ein schwerer
Felsbrocken lag auf seinen Rippen und Blut floss aus einer Wunde an seiner Stirn. Doch er sah mich mit unvermindertem Zorn
an und spuckte auf meine Füße. Einer seiner stählernen Arme schlug durch die Luft und verfehlte knapp meine verwundete Schulter.
Ich hob mein Schwert. Die Klinge blitzte im Morgenlicht. Sogar über den brausenden Gischt um uns konnte ich das Pochen meiner
Schläfen hören. Hier lag er, mein großer Peiniger! Diener von Rhita Gawr! Vor wenigen Augenblicken hatte er versucht mich
zu töten. Genau wie er das arme Mädchen Ellyrianna getötet hatte. Und viele andere töten würde, wenn er die Möglichkeit hätte.
Eine Welle klatschte an den Strand, sie besprühte uns beide mit Schaum und abgerissenen Tangstücken. Ich blinzelte mir das
Salz aus den Augen und machte mich bereit mit dem Schwert zuzuschlagen. Dann, als ein Tropfen Meerwasser meine Wange hinunterrollte
und meine wulstigen Narben berührte, zögerte ich und dachte an das Feuer, das uns beide verbrannt hatte. Uns beide verstümmelt
hatte.
Ich fasste den Schwertgriff fester. Das war sie, meine Chance, das alles zu beenden. Und doch . . . wo würde es tatsächlich
enden?
»Mach schon, du Welpe«, stieß er hervor. »Töte mich, wenn du kannst.«
Ich betrachtete seine gekrümmte Gestalt. »Oh ja, das kann ich. Leicht.«
Langsam senkte ich das Schwert und schob es in die Scheide. »Aber ich werde es nicht tun.«
Dinatius starrte mich ungläubig an. »Fang nicht mit deinen Spielen an, Zaubererzwerg.«
»Es ist kein Spiel«, antwortete ich ruhig in dem frischen Wind vom Meer her. Ich warf einen Blick auf die Klippe hinter mir
und den zerfallenen Hügel darüber und dachte an all die Bitterkeit und das Leid, die hier vor Augen geführt wurden. Leid,
das auch meine Vorfahren verursacht hatten.
Ich wandte mich wieder Dinatius zu. Ihm, der Insel und dem brausenden Meer um uns herum erklärte ich: »Nein, ich werde dich
nicht töten. Zu viel Blut hat diesen Boden schon befleckt.«
Plötzlich zitterte der Sand unter meinen Stiefeln. Ich hörte ein fernes Donnern, das ständig zunahm und zu einem betäubenden
Dröhnen anschwoll. Die ganze Insel bebte und warf mich auf die Knie in den Sand. Zugleich wurde die umgebende Brandung seltsam
still, als wartete sie auf etwas. Bis zur gegenüberliegenden Küste hörten die Wellen auf zu schlagen, das Wasser lag so still
da wie eine ausgedehnte Eisschicht.
Die Insel jedoch bebte weiter – so heftig, dass die Beine unter mir wegrutschten. Mehrere Felsbrocken brachen von der Klippe,
sprangen über den Sand und platschten neben mir ins seichte Wasser. Ich konnte nur versuchen den Kopf hochzuhalten. Dinatius
schlug mit seinem freien Arm auf den Boden und stöhnte schmerzlich, bis er schließlich erschlaffte.
Gleich darauf ließ die Erschütterung auffallend nach, das Dröhnen wurde viel leiser. Ein kräftiger Wind kam auf und fuhr in
meine zerrissene Tunika. Schwankend
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