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Merlin - Wie alles begann

Merlin - Wie alles begann

Titel: Merlin - Wie alles begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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höheren
     Ast zog, hob sich auch meine Stimmung. Es war fast, als könnte ich weiter sehen, schärfer hören und besser riechen, je höher
     ich stieg. Ich stellte mir vor, wie ich neben dem kleinen Falken flog, den ich über den Bäumen kreisen sah.
    Die Aussicht unter mir wurde weiter. Ich schaute dem Flusslauf nach, der sich von den Hügeln im Norden herunterwand. Der Fluss
     erinnerte mich an eine riesige Schlange, ein Wesen aus Branwens Geschichten. Und die Hügel lagen in zerklüfteten Reihen wie
     die Falten eines alten, freigelegten Gehirns. Welche Gedanken hatte dieses Gehirn über die Jahrhunderte hervorgebracht? War
     dieser Wald einer von ihnen? Und dieser Tag?
    Aus dem Nebel zwischen den steilsten Bergen ragte die große Masse des Y Wyddfa, sein Gipfel, in Weiß gehüllt, leuchtete. Dunkle,
     runde Wolkenschatten zogen über seine Rücken wie die Fußspuren von Riesen. Wenn ich nur die Riesen selbst sehen könnte! Wenn
     ich nur bei ihrem Tanz dabei sein könnte!
    Im Westen sammelten sich die Wolken, obwohl ich immer noch gelegentlich das Funkeln und Strahlen des Lichtes auf dem sonnenbeschienenen
     Meer sehen konnte. Der Anblick des endlosen Ozeans erfüllte mich mit einer unbestimmten, undefinierbaren Sehnsucht. Ich wusste:
     Meine wahre Heimat, mein richtiger Name lagen dort draußen . . . irgendwo. Strömungen, bodenlos wie die See, kreisten in mir.
    Ich griff nach dem nächsten Ast und zog mich mühsam höher. Ich legte die Hand um seine dickste Stelle, dannhob ich ein Bein darüber. Einige Zweige brachen ab und wirbelten anmutig zu Boden. Stöhnend zog ich, so fest ich konnte, und
     erklomm ihn schließlich.
    Zum Ausruhen setzte ich mich in die Astgabel und lehnte mich an den Stamm. Meine Hände waren klebrig vom Tannenharz, ich legte
     sie vor mein Gesicht und füllte die Lungen mit dem süßherben Duft.
    Plötzlich streifte etwas mein rechtes Ohr. Ich drehte den Kopf. Ein borstiger brauner Schwanz verschwand um den Stamm. Als
     ich mich streckte, um hinter den Stamm zu spähen, hörte ich einen lauten Pfiff. Im nächsten Moment huschten winzige Füße über
     meine Brust und mein Bein hinunter.
    Ich setzte mich wieder auf und sah gerade noch, wie ein Eichhörnchen von meinem Fuß zu einem tieferen Ast sprang. Lächelnd
     hörte ich, wie das geschäftige Tier plapperte und piepste. Es sauste den Stamm hinauf und hinunter und wieder hinauf und schwenkte
     den Schwanz wie eine pelzige Fahne, dabei knabberte es die ganze Zeit an einem Tannenzapfen, der fast größer war als sein
     Kopf. Dann hielt es inne, als hätte es mich gerade erst bemerkt. Es beäugte mich kurz, pfiff einmal und sprang auf den ausgestreckten
     Ast eines Nachbarbaums. Dort huschte es den Stamm hinunter und verschwand. Ich fragte mich, ob ich dem Eichhörnchen so eigenartig
     vorgekommen war wie es mir.
    Meine Erregung stieg wieder und trieb mich zum Weitersteigen. Als sich der Wind verstärkte, wurden auch die Düfte der Bäume
     intensiver. Harz aus scheuernden Ästen zu beiden Seiten klebte an mir, sein Aroma begleitete mich.
    Wieder sah ich den Falken, der immer noch über mir kreiste. Ich hatte das Gefühl, dass er mich beobachtete aus Gründen, die
     nur er kannte.
    Das erste Donnergrollen kam, als ich mich auf den höchsten Ast schwang, der mein Gewicht tragen konnte. Es wurde von einem
     noch mächtigeren tiefen Brausen begleitet, dem gemeinsamen Ruf Tausender Bäume, die sich im selben Wind bogen. Ich schaute
     über das Meer aus Bäumen, die Äste wogten wie Wellen auf dem Wasser. Im Brausen konnte ich ihre verschiedenen Stimmen ausmachen:
     das tiefe Seufzen der Eichen und das schrille Knacken des Weißdorns, das Zischen der Tannen und das Krachen der Eschen. Nadeln
     prasselten und Blätter trommelten. Stämme stöhnten und Höhlungen pfiffen. Alle diese Stimmen und noch mehr vereinten sich
     in einem großen, wogenden Chor und sangen in einer Sprache, die meiner eigenen nicht allzu fremd war.
    Als der Wind anschwoll, begann mein Baum zu schwanken. Fast wie ein menschlicher Körper schwang er vor und zurück, zuerst
     sanft, dann immer wilder. Mit dem Schwanken wuchsen meine Ängste, dass der Stamm brechen und mich zu Boden schleudern könnte.
     Aber mit der Zeit kehrte meine Zuversicht zurück. Ich staunte, wie der Baum zugleich so biegsam und so robust sein konnte,
     und hielt mich fest, während er sich bog und wankte, drehte und kreiste, Kurven und Bögen durch die Luft schnitt. Mit jedem
     anmutigen Schaukeln

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