Merlin - Wie alles begann
kaum aufsetzen, so sehr schmerzten meine Rippen. Über mir stand Dinatius, lachend hatte er den borstigen Kopf
zurückgeworfen. Auch die anderen Jungen lachten, während sie ihn anfeuerten.
»Was ist los, Dämonenkind?«, spottete Dinatius.
Mein Zorn war größer als mein Schmerz. Während ich mir die Seite hielt, rollte ich mich mühsam auf die Knie und stand auf.
Ich knurrte wie ein verwundetes Tier, dann ging ich mit erhobenen Armen erneut auf ihn los.
Im nächsten Moment lag ich mit dem Gesicht im Gras und konnte kaum atmen. Ich schmeckte Blut. Kurz dachte ich daran, mich
tot zu stellen in der Hoffnung, dass mein Peiniger das Interesse verlieren würde. Aber ich wusste es besser.
Dinatius hörte auf zu lachen, als ich mich zum Aufstehen zwang. Blut lief mir übers Kinn. Ich suchte Halt fürmeine unsicheren Füße und schaute ihm in die Augen. Was ich da sah, verblüffte mich.
Unter seiner Kampfeslust war er eindeutig überrascht. »Bei allen guten Geistern, du bist aber stur.«
»Stur genug, um dir die Stirn zu bieten«, antwortete ich heiser. Ich ballte die Fäuste.
In diesem Augenblick tauchte aus dem Nichts eine andere Gestalt auf und stellte sich zwischen uns. Die Jungen bis auf Dinatius
wichen zurück. Und ich hielt erstaunt den Atem an.
Es war Branwen.
Obwohl ihm ganz kurz die Furcht anzusehen war, spuckte Dinatius ihr vor die Füße. »Geht zur Seite, Dämonin.«
Aus flammenden Augen blitzte sie ihn wütend an. »Lass uns in Ruhe.«
»Geht zum Teufel! Da gehört ihr beide hin.«
»Wirklich? Dann bist du es, der fliehen sollte.« Drohend hob sie die Arme. »Sonst bringe ich die Feuer der Hölle auf dich
herab.«
Dinatius schüttelte den Kopf. »Ihr werdet es sein, die brennt. Nicht ich.«
»Aber ich fürchte mich nicht vor dem Feuer! Ich kann nicht verbrennen!«
Lud hatte Branwen nervös beobachtet, jetzt zog er Dinatius an der Schulter. »Und wenn sie die Wahrheit spricht? Lass uns lieber
gehen.«
»Erst wenn ich mit ihrem Jungen fertig bin.«
Branwens blaue Augen blitzten. »Geh jetzt. Oder du wirst verbrennen.«
Er trat zurück.
Sie beugte sich zu ihm und gab einen einzigen Befehl: »Jetzt!«
Die anderen Jungen drehten sich um und rannten. Dinatius sah sie flüchten und schien unsicher. Mit beiden Händen machte er
das Zeichen zum Schutz vor dem bösen Blick.
»Jetzt!«, wiederholte Branwen.
Dinatius schaute sie noch einen Moment finster an, dann lief er davon.
Ich griff nach Branwens Arm. Langsam gingen wir zu unserer Hütte zurück.
V
HEILIGE ZEIT
I ch hatte mich auf meinem Strohlager ausgestreckt und zuckte zusammen, als Branwen meine schmerzenden Rippen massierte. Vereinzelte
Lichtflecke fielen aus den Löchern im Strohdach auf ihre linke Schulter und Hand. Sie runzelte besorgt die Stirn. Die blauen
Augen musterten mich so scharf, dass ich fast das Gefühl hatte, ihre Blicke würden sich in meine Haut bohren.
»Danke, dass du mir geholfen hast.«
»Gern geschehen.«
»Du warst wunderbar. Wirklich wunderbar! Und du kamst gerade rechtzeitig aus dem Nichts. Wie eine deiner griechischen Göttinnen – Athene oder so.«
Branwens Fältchen vertieften sich. »Mehr wie Zeus, fürchte ich.«
Ich lachte und bedauerte es sofort, denn davon tat mir die Seite weh. »Du meinst, du hast Donner und Blitz auf sie niedergehen
lassen.«
»Statt Weisheit.« Sie seufzte traurig. »Ich habe nur getan, was jede Mutter tun würde. Selbst wenn du nie . . .«
»Was?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wichtig.«
Sie stand auf und bereitete einen Breiumschlag vor, der nach Rauch und Zedern roch. Ich hörte sie mehrere Minuten lang hacken
und mahlen, bevor sie zurückkam. Dann legte sie den Umschlag auf meine Rippen, breitete dieHände darüber und drückte sanft. Allmählich spürte ich eine gleichmäßige Wärme durch meine Knochen strömen, als hätte sich
das Mark in feurige Kohlen verwandelt.
Sie schloss die Augen und stimmte ein leises, langsames Lied an, das ich schon früher gehört hatte, wenn sie Kranke versorgte.
Ich war mir nie sicher gewesen, ob sie es sang, um ihre Patienten zu heilen oder, auf eine Art, die ich nicht verstehen konnte,
sich selbst. Als ich diesmal ihr Gesicht betrachtete, hatte ich keine Zweifel: Dieses Lied war für sie, nicht für mich.
Hy gododin catann hue
Hud a lledrith mal wyddan
Gaunce ae bellawn wen cabri
Varigal don Fincayra
Dravia, dravia Fincayra.
Die Worte schienen aus einer anderen Welt zu kommen, einen
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