Merlins Drache 01 - Basilgarrad
betrachtete. Doch außer ein paar dünnen Wolken sah er nichts.
Die Schläge wurden lauter. Basils gewölbte Ohren zitterten bei jedem wiederholten
Bumm, Bumm, Bumm.
Zugleich durchfuhren so starke Schwingungen den Fichtenwald, dass sie Zweige, Nadeln und Moosklumpen losschüttelten. Bald bebte der ganze Wald. Zersplitterte Äste brachen ab und krachten auf den Boden. Unter Basil schwankte die tote Fichte im Rhythmus und schwang den toten Klauenkondor wie eine zerrissene Fahne.
Mit einem Mal verstand Basil: Die donnernden Schläge kamen nicht aus der Luft, sondern vom Land. Er öffnete die grünen Augen weit und betrachtete den Horizont. Dort! Weit im Westen, vom Nebel teilweise verhüllt, war eine massige Gestalt zu erkennen.
Sie ragte über die Baumwipfel und kam näher. Ein Riese!
Größer als ein Berg,
hatte die klatschende Krähe gesagt. Richtig!
Basil war von dem Anblick so fasziniert, dass er sich zwingen musste, an seine Flügelschläge zu denken. Der Riese kam aus dem Westen von Waldwurzel näher, jeder seiner Schritte erschütterte den Boden wie ein Erdrutsch.
Während Basil zusah und die zerknitterten Flügel schwang, musste er schlucken:
Und ich habe geglaubt, ich sei groß?
Der Riese kam schwerfällig näher, Schritt um schweren Schritt. Er trug etwas Gewaltiges auf den mächtigen Schultern, eine Steinsäule, groß genug, um einenkleinen See auszufüllen. Während der Riese durch den Fichtenwald heranstapfte, wurde sein Profil mit der großen Knollennase und einer zotteligen wirren Mähne sichtbar.
Zwischen den rhythmischen Schritten rumpelte eine tiefe Stimme. Basil spitzte die Ohren und fing Teile eines Lieds auf, die von der nach Harz duftenden Brise herangetragen wurden:
Nun, zwick mich in die Nase, doch
Ich sein kein Flattervogel, nein.
Ich treffen nie den Ton so fein,
Ich klingen falsch, mal tief, mal hoch,
Und singen ganz absurd die Melodein.
Wer sein ich bloß? Ich rufen froh:
Ein Riese, riesig groß.
Doch einst sein andres los,
Ich sein, man glauben es nicht so,
ganz winzig klein wie kleines Wurzelmoos.
Basil blinzelte erstaunt. Denn jetzt erkannte er den Riesen, dessen Ruf noch größer als sein Umfang war. Basil hatte in den vergangenen zwei Jahren von ihm gehört, und nicht nur von einem plappernden Krähenschwarm. Er hatte auch den Geschichten von zwei weit geflogenen Eulen gelauscht, die noch Fincayras Nebeltropfen im Gefieder trugen. Und erst kürzlich hatte er einem wandernden Barden zugehört, der fastbarst von Liedern und Geschichten über den Zauberer Merlin und seine Freunde.
Das war Shim! Von allen Riesen, die im versunkenen Fincayra gelebt hatten, war er bei Weitem der am meisten gefeierte – ein enger Freund des Zauberers Merlin. Zwar war er einmal sehr klein gewesen, doch inzwischen war Shim wirklich enorm gewachsen und hatte eine kritische Rolle im berühmten Tanz der Riesen gespielt, der entscheidenden Schlacht, in der – zumindest für den Augenblick – der böse Kriegsherr Rhita Gawr besiegt worden war.
Basil flog hinab und setzte sich auf den höchsten Ast des toten Baums. Von hier aus beobachtete er den Riesen, der über die fernen Waldhügel stapfte. Die große Steinsäule auf Shims Schultern erinnerte ihn an etwas, das der Barde gesagt hatte: Merlins Mutter, Elen mit den Saphiraugen, hatte gerade einen neuen Orden gegründet, um Harmonie unter allen Geschöpfen Avalons zu verbreiten. Ihre Anhänger bauten jetzt eine große Anlage in Steinwurzel, wobei sie einen Kreis heiliger Steine aus dem verlorenen Fincayra benutzten. Konnte diese Säule einer dieser Steine sein? Hatte Shim sie tatsächlich den ganzen Weg durch den Nebel nach Avalon getragen?
Auf dem toten Baum, der jedes Mal knarrte und stöhnte, wenn einer von Shims nackten Füßen auftrat, faltete sich Basils fledermausähnliches Gesicht zu einem Grinsen. Allein die Vorstellung, so groß zu sein, dass man eine Steinsäule tragen konnte! Dass man dieErde mit jedem Schritt zum Beben brachte! Dass man nie mehr etwas fürchtete außer einem wütenden Drachen!
Basil klammerte sich an den rindenlosen Baum und seufzte sehnsüchtig. Natürlich bedeutete Größe nicht alles. Aber sie hatte zweifellos ihre Vorteile. Selbst ein Feuer speiender Drache hatte kürzlich Shim gehorcht, davon hatte ein Barde berichtet: Als Shim seine Gürtelschnalle gespendet hatte, aus der eine große Glocke für Elens Orden geschmiedet werden sollte, gab es ein Problem. Kein Feuer war heiß genug, etwas so Großes zu
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