Merlins Drache 01 - Basilgarrad
verscheuchen. Immer noch in tiefem Schlaf schnarchte er weiter, auf seinem Gesicht lag ein schiefes Grinsen.
»Verdammt, Shim!«, rief Merlin wütend. »Wach auf, du Narr!«
»Dad«, kam wieder der erstickte Ruf von tief unter der Hand des Riesen. Doch die Stimme des Jungen klang viel schwächer.
»Dad …«
Voller Angst um das Leben des Jungen kroch Basil so schnell wie möglich näher, seine Füße klatschten auf die Felsen. Er sprang auf einen flachen Stein – und was er sah, regte ihn noch mehr auf. Shims Hand, größerund schwerer als ein alter Eichbaum, begann auf die Brust zu drücken. Innerhalb von Sekunden würde der Junge völlig zerquetscht sein.
Als Merlin das sah, richtete er den Stab auf den Kopf des Riesen. »
Anzalay luminari!«
, befahl er.
Ein zischender heiß-weißer Blitz flog aus dem Stab und explodierte auf Shims Stirn. Fliegende Funken leuchteten in der Luft und regneten den Hang hinunter.
Doch Shim wachte nicht auf. Er rührte sich nur ein wenig und rieb die Schulter an dem, was von der Klippe unter ihm noch übrig war. Sein törichtes Grinsen wurde breiter, als hätte er gerade einen besonders hellen Traum gehabt. Sein Schnarchen ging unvermindert weiter.
Jetzt kam unter der Hand des Riesen ein ganz anderes Geräusch hervor – ein mattes, gedämpftes Wimmern. Es dauerte nur kurz. Dann hörte es mit bedrohlicher Endgültigkeit auf.
Merlins Augen unter den buschigen Brauen funkelten wild, als er zu dem Riesen hinüberlief und versuchte, ihm auf die enorme Brust zu klettern. Doch er rutschte aus, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Boden. Er sprang hoch, hob die Arme zum Himmel und rief verzweifelt: »Was soll ich tun? Lieber Dagda, was soll ich tun?«
Von oben kam keine Antwort. Überhaupt keine Hilfe.
Da, ganz plötzlich, erschien eine andere Art Antwort. Sie kam in einer ganz unwahrscheinlichen Form und hatte einen ganz unwahrscheinlichen Ursprung.
Honig. Der süße, sämig-köstliche Duft von Honig. Das Aroma hing über dem Gebirge, sodass die Luft dick wie Sirup und süß wie Sommerklee zu sein schien.
Sofort erwachte Shim. Mit weit offenen Augen schaute er sich begierig um. »Honig?«, brummte er und schnupperte heftig. »Ich riechen süßerlichen Honig!«
Auf der Suche nach der Quelle seines Lieblingsgeruchs setzte er sich auf. Dabei fiel seine Hand auf die Seite und landete auf dem Hang. Mitten in der offenen Handfläche lag ein kleiner, zusammengekrümmter Junge mit weißem Haar.
»Krystallus!« Blitzschnell rannte Merlin zu seinem Sohn. Er sprang über Shims Daumen und in die offene Hand, rollte über die Fläche und hob eiligst den Jungen auf.
Mitten in der Handfläche kniete er dann, drückte seinen Sohn an sich und zerzauste ihm das dichte weiße Haar. »Krystallus«, rief er, »bist du verletzt? Tut dir etwas weh?«
Der kleine Junge antwortete, indem er die Arme um den Hals des Vaters schlang. Merlin wankte auf der fleischigen Hand, doch er hielt seinen Sohn fest.
Inzwischen schaute Shim suchend über den Hang. Seine Knollennase bebte, während er gierig schnupperte. Doch aus einem seltsamen Grund war der wunderbare Duft verschwunden. Und nirgendwo war Honig zu sehen.
»Bei allen Trollenzungen!«, brüllte der enttäuschte Riese, sein Grinsen verschwand. »Ich haben sicherlich Honig gerochen! Süßerlich, definitiv, absolut.«
Als Merlin das hörte, verstand er plötzlich, was geschehen war. Jemand hatte auf magische Weise den Honiggeruch in die Luft geschickt – jemand mit bemerkenswerter Kraft. Doch wer? Hier am Berghang war sonst keiner. Wenigstens keiner mit dieser Art Magie. Merlin hielt den Atem an – es sei denn …
Er wandte sich dem bizarren kleinen Kerl zu – eine Art geflügelter Salamander mit leuchtenden grünen Augen –, der ihn von einem nahen Stein aus beobachtete. Dasselbe kleine Geschöpf, das über einen Traum reden wollte. Während Merlin ihn anstarrte, erwiderte der Salamander einfach seinen Blick und schwang den schlanken Schwanz auf dem Stein.
»Nicht …
du
«, sagte der Zauberer zweifelnd. »Das kannst doch nicht du gewesen sein, oder?«
Basil zuckte verlegen mit den Schultern. »Nur eine Kleinigkeit, Meister Merlin.« Er räusperte sich. »Also, über diesen Tr…«
Shim schlug mit seinem Absatz auf den Berg, sodass Dutzende Steinbrocken den Hang hinunterrollten und krachten. Leidenschaftlich erklärte der Riese: »Ich
wissen,
dass ich Honig riechen! Vielleicht finden ich ihn noch.« Er schaute hinunter auf
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