Merlins Drache 01 - Basilgarrad
mit der Tatsache zu tun, dass Hexerkünste häufig Generationen übersprangen. Oder vielleicht mit dem Druck einer ganzen Welt, die ihn beobachtete und darauf wartete,dass er seinem berühmten Vater glich. Jedenfalls hatte es der Kleine nicht leicht.
Und wie stand es um Merlin selbst? Basil kaute und erinnerte sich an die jüngsten Neuigkeiten. Die Mutter des Zauberers, Elen, die jahrzehntelang an der Schaffung des Ordens gearbeitet hatte, den sie Gemeinschaft des Ganzen nannte, war vor Kurzem gestorben. Ein paar Wochen davor hatte Merlin ihr etwas gegeben, das ihr sehr wertvoll war: ein Buch mit Gedichten ihres geliebten Cairpré. Und dieses besondere Buch konnte ihr dank eines zusätzlichen Zaubers mit Cairprés Stimme laut vorlesen, wenn sie es öffnete. Und so hatte sie ihre letzten Tage vor allem damit verbracht, ihrem Lieblingsbarden zuzuhören – häufig in Gesellschaft von Merlin und Rhia, die jetzt das Gewand der Hohepriesterin aus Spinnenseide trug.
Gut gemacht, Merlin,
dachte Basil. Nach seinem Eindruck von Elen bei der Hochzeit war er überzeugt, dass sie nach so vielen Jahren bereit gewesen sein musste, sich mit dem Geist ihres Geliebten zu vereinen. Nichts würde den Schmerz ihrer letzten Tage besser gelindert haben, als Cairprés volltönende Stimme zu hören – eine Stimme, die sie endlich bald wieder aus seinem Mund hören würde.
Als Basil sich dann daran erinnerte, was er über die quälend lange Reise zur Anderswelt gehört hatte, wurde sein Gesicht betrübt. »Wie lange wird sie brauchen, bis sie endlich im Geisterreich ist?«, fragte er laut.
»Nicht so lange, wie du vielleicht glaubst«, erklärte eine tiefe Stimme hinter ihm.
Basil fuhr herum. Von der Klippe her näherte sich ihm ein großer Hirsch mit mächtigem Geweih, sieben Enden an jeder Seite. Das Leuchten seiner Augen sprach von außerordentlicher Weisheit, strahlend und beschattet zugleich, heller als Licht und tiefer als Dunkelheit.
»Dagda!« Basils Augen quollen überrascht hervor. »Du bist hier? Du bist nach Avalon zurückgekommen?«
»Ja«, antwortete der Hirsch.
»Aber warum?«
»Ich will jemanden in die Anderswelt begleiten.«
Die runden Ohren des Salamanders zitterten vor Ehrfurcht. »Das machst du wirklich?«
»Das mache ich tatsächlich«, antwortete der Hirsch. »Aber nur für eine Sterbliche von höchster Gnade und tiefster Weisheit.«
»Elen.«
»Ja, Kleiner. Ich bin gekommen, um sie nach Hause zu bringen.« Er schlug mit dem Schwanz nach einem Nebelstreifen hinter sich und teilte ihn in drei deutliche Ringe. Nach einem Blick des Hirschs wirbelten sie leise davon. Jeder Nebelring schwebte in eine andere Richtung: Einer flog über den Bergkamm, einer stieg auf und verschmolz mit den hauchdünnen Wolken droben und einer segelte zu Basils Erstaunen direkt in die Felsen der Klippe, auf der er saß.
Sofort erkannte Basil seine Chance – vielleicht seineletzte –, die verschwundene Pforte zu finden. Dagda war schließlich ein Gott. Und nicht nur das, er war der Anführer der Götter – natürlich mit Ausnahme derer, die Rhita Gawr folgten. Bestimmt verfügte er auch in seiner jetzigen Form über viel Magie. Genug jedenfalls, um ihm zu helfen.
»Dagda«, fragte er besorgt. »Ich – ich brauche … Hilfe.«
Die tiefbraunen Augen schauten ihn an. Und, so kam es ihm vor, sie sahen direkt durch ihn hindurch. »Was für eine Hilfe?«
Basils Schwanz klopfte nervös auf den Stein neben ihm. »Ich brauche deine …«
Abrupt hielt er inne. Denn er hatte gerade neben dem Kopf des Hirschs ein seltsames Vibrieren in der Luft bemerkt. Rund um ein Geweihende zitterte die Luft und ließ alles in der Nähe leicht verzerrt erscheinen. Schlimmer, der Fleck schien zu klopfen, Farben abzusondern – als wäre es eine offene Wunde, aus der etwas Kostbareres als Blut sickerte.
»Was wolltest du sagen?«, fragte der Hirsch etwas ungeduldig. »Ich muss bald weiter.«
»Es ist – äh, also …« Er wollte Dagda sagen, was er gerade gesehen hatte, doch Zweifel stiegen plötzlich in ihm auf.
Wie konnte etwas bei ihm nicht stimmen? Er ist unsterblich, jenseits aller Gefahr.
Der Hirsch stampfte mit dem Huf auf den Fels, mehrere Steine zersprangen unter dieser Wucht. Die Botschaft war unverkennbar.
Trotzdem brachte Basil es nicht über sich, etwas zu sagen. Noch mehr Zweifel surrten ihm durch den Kopf und vertrieben andere Gedanken. Vergeudete er nicht die Zeit des großen Geistes? Für wen hielt er sich überhaupt,
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