Merlins Drache 01 - Basilgarrad
– du musst dich irren.«
Der Hirsch stampfte wieder auf und zerschlug die Steine in seiner Wut. Windstöße pfiffen über die Klippe und wirbelten Staubspiralen auf. »Bezweifle nicht, was ich sage. Wirst du mir helfen?«
»Aber natürlich. Was soll ich tun?«
»Da ist etwas – oder jemand – an meinem Geweih«, erklärte der Hirsch, seine Augen blitzten. »Er hat mich benutzt, um aus der Anderswelt zu kommen. Und er hat mir mit einem mächtigen Tarnzauber seine Anwesenheit verheimlicht.«
Basil nickte rasch. »Jetzt muss er weg?«
»Zuerst muss er gesehen werden! Nur wenn das geschieht,wenn seine Tarnung zerrissen wird, kann er entfernt werden. Und dann bestraft.«
»Wie können wir ihn sehen?«
»Es wird nicht einfach sein. Nur ein anderer als ich kann es tun, weil ich der Gegenstand seines Zaubers bin. Und sehr wenige andere können erfolgreich sein. Aber da du das Vibrieren seiner bösen Magie gesehen hast – und die Kraft fandest, es mir zu sagen –, glaube ich, dass du es kannst.«
Der Hirsch schnaubte wütend, bevor er fortfuhr: »Versuch nur, durch den Schleier seiner Magie zu stechen, um seine irdische Form zu sehen. Sowie dir das gelingt, wird der Zauber zusammenbrechen.« Er nickte mit dem großen Geweih und senkte seine Stimme zu einem Brummen. »Den Rest erledige ich.«
Er hielt inne und sah Basil an. »Ich muss dich allerdings warnen. Ihm wird das nicht gefallen. Er könnte dich wieder angreifen, schlimmer als zuvor.«
»Soll er es doch versuchen«, knurrte Basil. Er schlug nachdrücklich mit dem schlanken Schwanz auf den Stein.
Dann faltete er die Flügel fest auf dem Rücken, holte tief Luft, presste die Zähne zusammen, sah direkt den Hirsch an und richtete all seine Kraft auf ein Ziel: hinter die Tarnung zu sehen. Sorgsam achtete er auf alle Schwankungen in Licht und Farbe, ahnte die leichtesten Schwingungen. Dann öffnete er weit die grünen Augen und versuchte, durch die Verzerrungen zu sehen, die diesen Angreifer abschirmten.
Wer ist es?,
überlegte er. Doch er konnte es nicht erraten. Er wusste nur, dass dieser andere bösartig genug war, nicht nur ihn anzugreifen, sondern den größten Gott der Geisterwelt.
Er spürte, wie sein Blick Schicht um Schicht tiefer drang, in die Magie tauchte bis zu ihrem Ursprung. Ein scharfer Schmerz schoss durch seinen Kopf und zerschnitt seinen kleinen Schädel wie ein Blitz, doch er ließ von seinem Ziel nicht ab. Durch den kochenden Schmerz hindurch schaute er noch tiefer. Er hörte nicht auf.
Ganz plötzlich war das Vibrieren verschwunden. Mit einem Ruck sah Basil klar. Und er sah im Fell unten am Geweih ein kleines, widerliches Tier.
»Ein Blutegel!«, rief Basil. »Ein hässlicher, saugender Blutegel.«
Sowie er diese Worte aussprach, geschah dreierlei zugleich. Der Blutegel – ein schwarzer Wurm mit verdrehten Hautfalten, rundem Maul und einem einzigen blutunterlaufenen Auge – richtete sich plötzlich auf. Dagda brüllte zornig und schlug mit den Hufen auf den Fels. Und während das Auge des Blutegels sich auf Basil richtete und wie ein Rubin blitzte, spürte der Salamander eine mächtige Welle Feindseligkeit.
Basil schauerte, er unterdrückte den Drang, zu würgen, während sein Magen sich vor Übelkeit in Krämpfen wand. Messerspitzen stachen nach seinen Schuppen, seinen Flügeln, seinen runden Ohren. SeinKopf dröhnte, die Augen schmerzten und schwollen in seinem Kopf. Der Schmerz kehrte in seinen Schädel zurück, am liebsten hätte er geschrien.
Doch trotz allem starrte er die ganze Zeit auf den Blutegel. »Wie kannst du es wagen?«, stöhnte er und wandte sich nicht ab. »Wie kannst du es wagen … Dagda anzugreifen?«
»Ich sehe dich jetzt«, brüllte der Hirsch, »durch deine elende Tarnung! Diesen Betrug wirst du bereuen, das verspreche ich dir.«
Der Blutegel lockerte jäh seinen Griff und sprang mit einem schrillen Wutschrei in die Luft. Er schwankte in der Brise wie ein abgebrochener Zweig und fiel hinter ein Felsgewirr. Fast ebenso schnell sprang Dagda herzu – doch inzwischen war der Blutegel völlig verschwunden.
Basil, dessen Übelkeit und Schmerz gewichen waren, sobald das blutunterlaufene Auge etwas anderes angestarrt hatte, fühlte sich noch benommen und erschöpft. Doch trotz seiner Schwäche öffnete er die Flügel und flog hinüber. Er landete auf dem größten Felsklotz, einem grauen Stein, mit weißen Quarzkristallen gefleckt, und überschaute die Gegend. Nichts zu sehen von dem Blutegel! Er
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