Merode-Trilogie 1 - Teufelswerk: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
den Rikalt ihm heimlich geliehen hatte. Er schauderte bei dem Gedanken, dass Paulus Wind von der Sache bekam. Denn der Bogen wurde wie eine Reliquie behandelt. Einst hatte er Rikalts Vater, Werner von Merode, gehört, der vor einigen Jahren gestorben war. Werner hatte das Kloster Schwarzenbroich gegründet, nachdem ihm bei der Jagd im Wald – jedenfalls erzählte man sich das – der Apostel Matthias erschienen war und ihn mit der Stiftung beauftragt hatte. Bei ebendieser Jagd hatte Werner den Bogen mit sich geführt.
Oft schon hatte Benno das Prunkstück bewundert. Und heute Morgen, nachdem er sich gründlich versichert hatte, dass niemand lauschte, hatte Rikalt gesagt: „Nimm ihn und schieß mir einen Fuchs. Oder zumindest einen Hasen!“ Benno hatte Bedenken geäußert, auf den Ärger hingewiesen, der ihnen drohte, wenn die Sache aufflöge. „
Ich
bin der Herr von Merode. Nicht Paulus!“, hatte Rikalt trotzig geantwortet.
Es war schon seltsam, einen Freund von hohem Geblüt zu haben, einen Freund, dessen Urahn einst vom berühmten Kaiser Barbarossa, dem Kreuzfahrer, belehnt worden war. Ja, es war seltsam, aber es erfüllte Benno mit unbändigemStolz. Vielleicht würde er eines Tages Rikalts engster Vertrauter sein, und vielleicht würden sie doch noch gemeinsam ins Heilige Land ziehen, um den wilden Muselmanen zu zeigen, wessen Gott denn nun der Mächtigere sei. Vielleicht sogar im Dienste des neuen Königs Karl, an dessen Krönungsfeier Rikalt vor wenigen Tagen teilgenommen hatte. Zusammen mit seinem älteren Vetter Konrad, dem anderen Herrn von Merode, sowie mit einigen ihrer Ritter und Knappen waren sie nach Aachen gereist. Rikalt hatte sogar einen Platz im Dom ergattert und die Krönungszeremonie aufmerksam verfolgt. Auf dem marmornen Sessel der deutschen Könige und Kaiser thronend, war dem Luxemburger vom Trierer Erzbischof die Krone aufs Haupt gesetzt worden. Und später, nach dem Gottesdienst, als die vornehmen Gäste im Domhof Spalier standen, hatte König Karl dem jungen Herrn von Merode einen Augenblick lang fest ins Gesicht geschaut – jedenfalls behauptete Rikalt dies voller Stolz.
Benno musste schmunzeln. Konnte er seinem Freund das wirklich glauben? Wie käme ein König dazu, einem Knaben so viel Aufmerksamkeit zu schenken, wenn ringsumher Bischöfe, Grafen und Fürsten zugegen waren? Andererseits: In Rikalts klugen Augen loderte ein geheimnisvolles Feuer, das Benno immer wieder in seinen Bann zog und wohl auch anderen, selbst einem König, nicht verborgen bleiben konnte. Vielleicht war es ja wirklich so gewesen. Mit diesem Gedanken schlief er ein.
Donner weckte ihn. Die Sonne war verschwunden, warmer Regen prasselte auf ihn herab. Benno war schon völlig durchnässt, er musste tief geschlafen haben. Wieder war er in jenem fernen Land gewesen und hatte für Gott gefochten. Wie einHohn erschien ihm deshalb der grelle Blitz, der die Bäume auf bizarre Weise erhellte. Mit einem Mal verspürte Benno Angst. Er wusste von einem Bauern aus Konzendorf, einem Hörigen Rikalts, der vor einigen Wochen auf dem Feld von einem Unwetter überrascht wurde. Ein Blitz hatte ihn getötet, seinen Körper auf grausame Weise entstellt, als habe der Teufel selbst ein grausames Strafgericht über ihn gehalten. Auch Lazarus, der Knecht eines Meroder Bauern, kam ihm in den Sinn, den gleichfalls einst der Blitz getroffen hatte. Anders als der Bauer aus Konzendorf hatte der Knecht das Unglück überlebt, war aber seitdem dem Wahnsinn verfallen. Den Namen Lazarus hatte man ihm erst nach diesem schmerzlichen Ereignis gegeben, kein Mensch wusste mehr, wie er eigentlich früher geheißen hatte.
Benno wollte zu den nahe gelegenen Bäumen laufen, um sich dort unterzustellen. Da fielen ihm die Worte ein, die der Burgvogt Paulus seinerzeit, als man vom Blitztod des Bauern erfuhr, hatte verlauten lassen, nämlich bei Blitz und Donner nicht den Schutz der Bäume zu suchen, sondern reglos und flach auf der Erde liegend das Ende des Gewitters abzuwarten.
Also ließ Benno sich auf die Erde fallen, klammerte sich an Werners Bogen und begann leise zu beten.
Das sommerliche Unwetter tobte nicht lange. Grollend war es bald in der Ferne verschwunden, und die Vögel des Waldes nahmen erneut ihre Gesänge auf. Ein herrlich reiner Geruch erfüllte die Luft. Die Sonne war wieder durchgebrochen, und ein bunter Regenbogen schmückte das launische Firmament.
Benno erhob sich langsam und betrachtete seine Kleidung: Sie war triefend nass,
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