Merode-Trilogie 1 - Teufelswerk: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
wollte ich mir eigentlich die Stadt ansehen.“
„Chlodwig wird dir folgen und gehorchen.“
„Ach was?“
Der Hund lugte unter der Tischplatte hervor, gähnte und legte eine Pranke auf das Knie des Dorfherrn. Der tätschelte vorsichtig seinen riesigen Schädel. „Na schön“, brummte er.
„Danke. Und heute Abend treffen wir uns hier wieder.“
Immer noch bevölkerten Hunderte von Pilgern die Stadt, obwohl das Zeigen der Reliquien längst stattgefunden hatte und die Heiligtumsfahrt für beendet erklärt worden war. Erst in sieben Jahren würde man den Gläubigen die Heiligtümererneut vorzeigen, doch nur Gott allein wusste, wer von all diesen Menschen dann noch am Leben sein würde. Ob die Welt dann überhaupt noch existierte? Mathäus spürte die Furcht dieser Menschen, die Furcht vor dem herannahenden Schwarzen Tod, der womöglich das Ende der irdischen Welt ankündigte. Er spürte das Bedürfnis der Leute, ihre Seelen zu erleichtern, um sündenfrei vor den Herrgott zu treten. Vielleicht konnten ja Blicke auf das Kleid der Gottesmutter oder auf die Windeln des Heilands einen Ablass bewirken. Die Geistlichen des Marienstifts hatten vor Wochen ernsthaft erwogen, die Heiligtumsfahrt zu verlängern, die Krönung Karls IV. aber hatte solcherlei Pläne vereitelt. Die Sicherheit des Königs hätte in einer Stadt voller erregter Menschen nicht gewährleistet werden können. Zahlreiche Pilger waren dennoch geblieben, und noch immer trafen Nachzügler ein.
Mathäus stand auf dem Münsterplatz und betrachtete nachdenklich die Menschenmenge, die in den Dom drängte. Chlodwig hatte neben ihm Platz genommen. Mit umständlichen Bewegungen kratzte er sich an den Ohren.
„Wollt Ihr ein Pilgerhorn kaufen?“ Eine bucklige Frau stand vor dem Dorfherrn und streckte ihm ein gebogenes Widderhorn entgegen. Ein weiteres Dutzend Hörner hing schwer über dem gebeugten Rücken der Frau, in deren Mund noch ein einziger Zahn leuchtete.
Mathäus zückte seinen Geldbeutel und bezahlte das Horn. Als die Händlerin wieder verschwunden war, verschenkte er es an einen pockengesichtigen Knaben, der bettelnd auf einer Mauer kauerte. Dann sah er Chlodwig streng an und hob drohend einen Finger. „Du bleibst hier sitzen, verstanden?“
Chlodwig leckte schmatzend sein Maul.
Mathäus reihte sich in die Menge derer ein, die in den Dom drängten. Nach einer Weile fand er sich im Oktogon der Pfalzkapelle wieder, wo trotz des Andrangs ehrfurchtsvolles Schweigen herrschte. Er bewunderte die prächtigen Schreine, die kostbaren Figuren und die mächtigen Säulen. Über alldem schwebte erhaben das himmlische Jerusalem in Form eines riesigen Kronleuchters, den Kaiser Barbarossa einst dem Stift vermacht hatte. Auf dem oberen Umgang des Oktogons war der marmorne Thron der deutschen Könige zu erkennen, auf dem jeder Herrscher für die Dauer eines Vaterunsers gesessen haben musste, um für das Königtum legitimiert zu sein. Noch vor kurzem hatte dort der junge Karl gethront, und Mathäus bedauerte, dass er nicht Zeuge dieses historischen Augenblicks hatte sein können. Nicht ohne Neid hatte er Rikalts begeisterter Schilderung gelauscht. Gleichwohl war er sich darüber im Klaren, dass er als bürgerlicher Dorfherr eines entfernten Kuhdorfs hier fehl am Platz gewesen wäre.
„Ein Pestkranker!“, hallte eine helle Stimme durch den Dom.
Mathäus erhaschte einen Blick auf den Rufer, der in seiner unmittelbaren Nähe stand: der sommersprossige, grinsende Knabe machte sich jedoch augenblicklich aus dem Staub. Mit der Ruhe zwischen den heiligen Wänden freilich war es nun vorbei. Die Leute schrien und fuchtelten, drängelten voller Panik durch das große bronzene Portal nach draußen, wo sie auf die Front der Wartenden prallten.
„Ruhig bleiben, Leute“, rief Mathäus, „jemand hat sich einen schlechten Scherz erlaubt!“
Niemand hörte auf ihn. Der Dorfherr half zwei älteren Frauen, die der Mob niedergetrampelt hatte, wieder auf die Beine. Endlich trat er wieder ins Freie. Die Menschen hastetenin alle Richtungen. In der Mitte des Platzes aber saß wie ein Fels in der Brandung Chlodwig, der das Durcheinander um ihn herum unbeeindruckt verfolgte.
Mathäus seufzte und schritt auf das Tier zu. „Auf, wir gehen“, bestimmte er nachdenklich. Der Schwarze Tod war in den Köpfen der Menschen allgegenwärtig. „Deine Gleichgültigkeit ist wirklich erschreckend, Hund!“
Chlodwig wedelte mit dem Schwanz, als sei er soeben tüchtig gelobt worden. Sie
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