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Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)

Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)

Titel: Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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vermochte noch heute, mehr als fünfzig Jahre danach, Sibylles Herz höher schlagen zu lassen. Doch auch das Ende war ihr noch so gegenwärtig, als sei alles erst gestern geschehen: Den Jakob hatte eines Tages die Schwindsucht dahingerafft. Sibylles inzwischen fast zahnloser Mund presste sich verbittert zu einem Strich. Heimlich – und dank der gütigen Mithilfe einer Magd aus dem Gesinde – hatte sie die Kammer mit dem aufgebahrten Leichnam des Geliebten betreten. Hatte weinend von ihm Abschied genommen. Hatte ein letztes Mal seine kalten Lippen geküsst. Sein letzter Anblick hatte sich ihr unauslöschlich eingeprägt: ein bleiches Gespenst. Blutleere Hände – zusammengefaltet wie zum Gebet. Man hatte ihm die Augenlieder gnädig geschlossen. Und dennoch – trotz des Todes, der Jakob in seinen kalten Klauen hielt – hatte Sibylle die letzte Botschaft, die in den Zügen des Geliebten verborgen lag, verstanden: Ich habe dich geliebt. Trauere nicht um mich. Im Jenseits warte ich auf dich!
Das Jenseits! Wo lag dieser geheimnisvolle Ort? War das Jenseits wirklich eine Art Paradies, wie die Priester es behaupteten? Und die Hölle, jenes furchtbare Gegenstück des Paradieses – gab es diesen Ort des Grauens?
Nun, nicht mehr lange, und sie würde es erfahren. Nicht mehr viele Jahre waren Sibylle auf Erden vergönnt. Eine Zeit lang war sie der festen Überzeugung gewesen, sie würde das Ende der Welt, das Jüngste Gericht, miterleben. Doch der von vielen vorhergesagte Weltuntergang war ausgeblieben. Hunger, Pest und Not waren vorübergezogen wie wütende Unwetter, hatten aber die „Herrschaft“ weitgehend verschont. Ob dies allerdings eine besondere Gunsterweisung des Herrgottes war, wagte Sibylle zu bezweifeln. Anstatt des Schwarzen Todes hatte ein mordender Dämon seine Todesschwingen über Merode entfaltet. Gewiss, die Mädchenmorde im vergangenen Sommer galten als aufgeklärt. Aber war in Wirklichkeit alles nur ein makaberes Spiel des Teufels gewesen? Schließlich hatte sie das Wesen aus der Unterwelt seinerzeit mit eigenen Augen gesehen. Allein der Gedanke daran ließ sie schaudern. War es tatsächlich nur ein sündiger Mensch gewesen, der sich aus dem Dickicht geschält und drohend wie ein dunkler Schatten vor ihr aufgebaut hatte?
Vielleicht waren die Boten Satans immer noch unterwegs. Vielleicht hatten sie auch unlängst den Knaben um sein Leben gebracht. Der Tod wütete wieder. Nein, Gottes Gunst lag gewiss nicht über der „Herrschaft“ Merode. Und vielleicht war ja der Weltuntergang kein flammendes Inferno, kein donnerndes Spektakulum, sondern ein schleichender Prozess, dessen Auswirkungen sich hier – in den Wäldern von Merode – mehr und mehr manifestierten: Tod, Tod und abermals Tod. Wie auch immer, am Ende dieses von Gott – oder vom Teufel? – gelenkten Prozesses würde sie nicht mehr unter den Lebenden weilen. Zumindest hoffte sie das.
Das ungestüme Pochen an der Tür ihres Häuschens riss Sibylle aus ihren Gedanken. Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte die dralle Bäuerin Kunigunde, einen lauthals schreienden, etwa achtjährigen Knirps hinter sich her zerrend, in die dunkle Stube. Der einfallende Lichtstreifen traf das Gesicht der alten Hebamme. Kunigunde überhörte ihr verärgertes Grunzen.
„Heilige Dreifaltigkeit, man sieht ja die eigene Hand nicht vor Augen“, übertönte sie das Geschrei des Knaben. Mit einer fahrigen Bewegung riss sie einen Bretterverschlag vom Fenster. Sogleich strömte gleißendes Tageslicht durch den Raum, in dem der Staub wirbelte.
„Was soll das?“, zischte Sibylle. „Und warum plärrt dieses Kind, als sei der Leibhaftige hinter ihm her?“
„Das“, keuchte die Bäuerin, „schaut Euch besser selbst an!“ Unsanft zog sie dem Kleinen das Oberhemd vom Leib und zeigte auf seinen Rücken.
Sibylle bemühte ihre trüben Augen. „Wer hat ihm das angetan?“, fragte sie barsch.
„Wenn ich das wüsste ... Bitte versorgt seine Wunden ...“
„Leg ihn auf diese Bank dort. Ich werde ihm eine Paste aus Kamille und Labkraut anrühren. Inzwischen hol den Dorfherrn herbei. Auch er sollte sich das ansehen.“

    Mathäus hatte am Vormittag Befragungen in der Dorfbevölkerung durchgeführt, doch diese hatten ihn nicht weitergebracht. Auch die verbitterten Eltern des toten Knaben hatten ihm nicht den geringsten Hinweis geben können, wer ein Interesse am Ableben ihres Sohnes gehabt haben könnte. Nur ein Irrer konnte für diese grausige Tat in Frage kommen, war man sich

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