Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
weitergegangen, da er, wie Heinrich vermutete, der deutschen Sprache nicht mächtig genug war, um die Zoten des Spaßmachers zu verstehen. Dann war Robert in ein Wirthaus nahe der Wollspüle eingekehrt. Heinrich hatte darauf verzichtet, ihm dorthin zu folgen, denn in der engen Schankstube hätte er sich der Aufmerksamkeit des Veteranen von Crécy nur schwerlich entziehen können. Also hatte Heinrich sich damit begnügt, durch eine kleine Fensteröffnung ins Innere der Stube zu spähen. Dies freilich hatte ausgereicht, um festzustellen, dass Robert dort allein an einem der Tische saß und sich vom Wirt Wein bringen ließ. Nach einer nicht allzu langen Weile hatte er eine Münze auf den Tisch geworfen und das Gasthaus wieder verlassen; offenbar war der Wein nicht nach seinem Geschmack gewesen. In Frankreich, vermutete Heinrich, war er besseren Rebensaft gewohnt.
Robert verließ also die Schankstube und steuerte nun geradewegs auf die nächste Straßenecke zu, wo sich vor dem Kloster der Weißen Frauen eine stattliche Menschenmenge versammelt hatte. Auch Robert blieb dort stehen und richtete seinen unergründlichen Blick auf zwei bunt gekleidete Spielmänner, die für den Menschenauflauf verantwortlich waren. Der eine zupfte sanft die Saiten einer Laute, während der andere mit erhobenem Finger vor seinem Kumpanen auf und ab ging und den Leuten etwas erzählte. Heinrich gab dem gähnenden Chlodwig den Befehl, sich fernzuhalten. Er selbst näherte sich der lauschenden Menge und blieb nur wenige Fuß neben dem Franzosen stehen, den er so aus den Augenwinkeln heraus ständig beobachten konnte.
„Und hier“, schrie der eine Spielmann und deutete mit einem ausgestreckten Finger auf einen Punkt zu seinen Füßen, „hier, genau an dieser Stelle, starb Graf Wilhelm von Jülich unter den wütenden Hammerschlägen des Aachener Schmiedes!“ Der Lautenspieler entlockte seinem Instrument drei schräge Töne, die dem Gesagten auf eigentümliche Weise Gewicht verliehen. „Der Graf von Jülich und sein Überfall auf die Stadt“, fuhr der Sprecher fort, „ihr alle wisst, welches Ende der Bösewicht aus Nideggen nahm. Ihr alle kennt das Lied, zumindest die ersten fünf Strophen. Aber ...“, geheimnisvoll sah er in die Runde, „aber in Wirklichkeit besitzt das Lied noch zwei weitere Strophen. So höret nun vom wahren Ende des habgierigen Grafen ...“
Der Lautenspieler legte ein wohlklingendes Präludium hin, variierte die jedem bekannte Melodie des Grafenliedes mit neuen Elementen, was den Zuhörern augenscheinlich imponierte. Endlich begann der andere mit sonorer Stimme zu singen.
„Der Graf in seiner finst’ren Burg
hat sich Übles ausgedacht.
Die Rechnung aber hat er ohne
die Aachener gemacht.
Wilhelm sammelt Hundertschaften,
rüstet sie mit Schild und Schwert,
führt sie gegen Aquis granum,
die Pfalz ist es ihm wert.
Hier, wo einst der große Karl
thronte auf dem Marmorsitz
hier, wo Glorie erstrahlt,
strebt Wilhelm gierig nach Besitz.
Die Stadt der Grafschaft einverleiben
ist Wilhelms böses Ziel.
Ein Überfall in dunkler Nacht,
doch Verräter gibt es viel.
Gewappnet sind die Bürger,
angeführt vom Schmied.
Erschlagen wird der Graf schon bald
den man wohl falsch beriet.“
Die Laute verstummte abrupt. Der Sänger nahm seinen Gang wieder auf und kreuzte die Arme hinter seinem Rücken. „Ja, erschlagen ward der Graf“, sagte er versonnen. „Doch wenn ihr glaubt, liebe Leute, dass dies sein Ende war, so irrt ihr gewaltig.“ Er nahm die Frage seiner Lauscher vorweg. „Was das heißen soll? Also gut, ich will es euch verraten. Ihr habt schließlich ein gutes Recht darauf. Denn schon heute oder morgen kann es einen von euch treffen.“
Die Laute stieß wieder Töne von sich, und der Spielmann setzte seinen Gesang fort.
„Siebzig Jahre kaltes Grab,
nun kehrt der Graf zurück.
Der Teufel hat ihn losgeschickt,
vorbei ist Aachens Glück.
Nächtens sieht man Köpfe rollen,
die Stadt in größter Not.
Der Geist des Grafen schreit nach Rache,
man stirbt den Löwentod.“
Die Zuhörer klatschten lachend Beifall und verbargen so den kalten Schauder, der sie überkommen hatte.
Mit regloser Miene hatte Robert de Marle der Darbietung gelauscht. Wieder blieb es ungewiss, wie viel er vom Gesang des Spielmannes wirklich verstanden haben mochte. Jedenfalls machte er sich nicht die Mühe, sich dem Beifall der anderen anzuschließen, sondern setzte mit energischen Schritten seinen Weg fort – offenbar war nun der Hauptmarkt vor
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