Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
Toten blickten in eine jenseitige Welt. Ihre Häupter lagen in Pfützen geronnenen Blutes. Darüber prangten zähnefletschend die Löwenköpfe des Domportals. Schaulustige waren in Scharen erschienen und reckten die Hälse. Ein halbes Dutzend Stadtknechte hielt sie in Schach, unterstützt durch die beiden Jülicher Gardisten Bodo und Anno.
„Wo fand man den Rumpf des Schmiedes?“, fragte Heinrich einen der Büttel.
„Auf dem Katschhof!“
Hartmann von Birgel deutete auf den grotesk verrenkten Rumpf des anderen Gemordeten, den des Wachhabenden, der nur wenige Klafter von ihnen entfernt lag. „Er hat ihn gesehen, den Mörder. Verdammt, warum ist der Kerl bloß so ungestüm nach draußen geeilt?“
Heinrich bückte sich nach dem Kopf des toten Wächters und nahm ihn in seine Hände. Stumm betrachtete er ihn von allen Seiten.
Hartmann senkte den Blick und presste eine Hand auf den Mund, als müsse er sich gleich übergeben. „Heilige Jungfrau, was macht Ihr da, Heinrich?“
„Ich versuche Schlüsse zu ziehen, Hartmann.“
„Schlüsse? Vergebt mir, aber was gedenkt Ihr am Kopf dieses Unglückseligen zu finden? Er fiel dem Schwert seines Henkers zum Opfer, ebenso wie die anderen vier Gemordeten. Wonach also sucht Ihr?“
Heinrich spitzte nachdenklich den Mund. „Ich glaube, dass der Wächter bereits tot war, als man ihm den Kopf abschlug.“
„Wie? Woher wisst Ihr ...?“
„Kommt her, ich will Euch etwas zeigen.“
„Danke, schon gut.“ Hartmann hob abwehrend beide Hände. „Erläutert mir nur Eure Schlussfolgerungen, das soll mir genügen.“
„Kehlkopf und Luftröhre des Enthaupteten sind an seinem Halsstumpf noch gut zu erkennen. Sie weisen Verletzungen auf, die nicht durch den Schwertstreich zu erklären sind.“
„Seid so gut und erklärt mir das näher.“
„Vermutlich war der Wächter bereits tot, als man ihm den Kopf abschlug. Erwürgt, vielleicht erdrosselt, schwer zu bestimmen. Jedenfalls ist seine Luftröhre gewaltsam eingedrückt worden.“
„Glaubt Ihr wirklich? Aber wo wäre da der Sinn?“
Behutsam legte Heinrich den Kopf wieder auf den Boden. „Der Sinn? Wir werden ihn weiter suchen müssen. Folgt mir.“ Er führte ihn zum Rumpf des toten Wächters. „Was fällt Euch an der Leiche auf, Hartmann?“
Immer noch hielt der Birgeler die Hand gegen den Mund gepresst. Er betrachtete das tote Bündel Mensch zu seinen Füßen. Nach einer Weile weiteten sich seine Augen wie erleuchtet. „Teufelskerl, recht habt Ihr! Die Blutpfütze, in der er liegt, ist recht klein. Hätte er gelebt, als er seinen Kopf verlor, hätte seine Schlagader das Blut weit verspritzt, wie es ja auch bei den anderen Opfern der Fall gewesen ist.“ Erneut überkam ihn Übelkeit. „Verdammt, ja“, sagte er, sich abwendend. „Der Ärmste war bereits tot.“
Heinrich nickte. „Und die Armbrust, die er in seinen Händen hält, hat er nicht benutzt. Nicht mal einen Bolzen hat er eingespannt. Warum hätte er derart unvorbereitet aus der Baracke eilen sollen, um den Mörder zu stellen?“
Hartmann rieb sich das Kinn. „Was Euch zu der Annahme zwingt, dass der Wächter nicht an der Stelle starb, an der sein Leichnam liegt.“
„Der Mörder dürfte ihn in seinem Versteck überrascht haben. Er tötete ihn, schleppte ihn hierher. Erst dann schlug er ihm den Kopf ab.“
„Das klingt plausibel. Doch Ihr wisst, was das bedeutet, nicht wahr?“
„In der Tat. Da nur Eingeweihte von der nächtlichen Wache in der Baracke wussten, muss es einen Verräter in ihren Reihen geben.“
Die beiden Männer sahen sich lange an.
„Die Sache wächst uns allmählich über den Kopf“, erklärte Hartmann schließlich leise. In seiner Stimme schwang Resignation mit. „Der Magistrat wird uns das Leben zur Hölle machen. Wenn wir nicht bald einen vielversprechenden Anhaltspunkt finden, wird es hier recht ungemütlich für uns werden.“
Wie zur Bestätigung seiner Worte wurden in diesem Augenblick Parolen gegen Jülich laut. Fäuste kreisten über den Köpfen der schaulustigen Aachener. Die Stadtknechte drängten sie zurück.
„Was bleibt uns übrig, als weiterhin sachlich in dieser Angelegenheit vorzugehen?“, seufzte Heinrich. „Wir werden also erneut die Hinterbliebenen der Ermordeten aufsuchen und ihnen Fragen stellen. Vielleicht stoßen wir ja endlich auf die richtige Spur.“
„Damit wird van Punt sich kaum zufriedengeben“, sagte Hartmann nachsinnend.
„Was können wir anderes tun?“
„Uns ein wenig Luft verschaffen.“ Hartmann
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